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Die Erben der Nacht - Oscuri: Band 6 (German Edition)

Die Erben der Nacht - Oscuri: Band 6 (German Edition)

Titel: Die Erben der Nacht - Oscuri: Band 6 (German Edition)
Autoren: Ulrike Schweikert
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sie nur Augenblicke später die bleiche Sichel wieder freigab, waren die beiden Schemen verschwunden. Das Dach lag still und verlassen da. Nur eine kleine Staubwolke wie ein Schauer von Ruß hing in der Luft und senkte sich lautlos auf die einst roten Dachziegel herab, die im Laufe der Jahrhunderte dunkel und fleckig geworden waren.
    ***
    Der riesige Lüster aus Muranoglas erhellte den grün bespannten Roulettetisch mit den bunten Jetons-Stapeln. Ein Dutzend Damen und Herren hatten sich um den Tisch versammelt und folgten dem Lauf der Kugel über das schimmernde Holz. »Rien ne va plus«, schnarrte der Croupier, ehe die Kugel den letzten Rest ihres Schwungs verlor. Es klackte zweimal, dann rief er: »Quinze  – Quindici«.
    Eine junge Frau, die zwei Chips auf die schwarze Fünfzehn gesetzt hatte, jubelte und ließ sich vom Croupier ihre gewonnenen Jetons herüberschieben. Großzügig warf sie ihm drei der bunten Plättchen zu. Er neigte dankend den Kopf. Auch Conte Contarini hatte mit einer Sechserkombination gewonnen, wenn auch nicht so viel. Er schob die Jetons in seine Fracktasche, erhob sich und schlenderte zum Nebentisch, an dem Baccara gespielt wurde.
    »Nun, Cavaliere, wie läuft Ihre Glücksnacht?«, erkundigte er sich, obgleich die beiden Falten auf der Stirn des jungen Mannes eigentlich für sich sprachen. Der Cavaliere griff nach seinem Glas und stürzte die bernsteinfarbene Flüssigkeit in einem Zug herunter, eher er die beiden Karten aufnahm, die eben ausgeteilt wurden. Der Mann rechts neben ihm war für diese Runde der Banquier , gegen den die anderen Mitspieler ihre Einsätze wetteten.
    Der junge Mann presste die Lippen zusammen. »Carte, s’il vous plaît«, bat er und nahm die dritte Karte entgegen, doch auch diese konnte seine Miene nicht aufheitern. Die Spielerin neben ihm hatte neun Punkte und gewann. Er setzte erneut und verlor auch dieses Mal. Nun gegen den Banquier.
    »Vielleicht sollte ich es doch lieber wieder mit Pharo versuchen?«, stöhnte der Cavaliere, als er seine Jetons verschwinden sah. Er legte einen neuen Einsatz auf den Tisch. »Aber es kann nicht mehr lange dauern«, versicherte er. »Ich spüre es. Das Blatt wird sich wenden. Heute ist meine Glücksnacht.«
    Der Conte nickte ohne Überzeugung. Diese Worte hatte er schon zu oft vernommen. Er überlegte gerade, ob er darauf überhaupt etwas erwidern sollte, als plötzlich das Licht der Leuchter zu flackern begann. Ein eisiger Luftschwall wogte durch die Räume des Casinos. Dann wurde es dunkel. Sämtliche Kerzen der Leuchter erloschen im selben Augenblick und auch die Gaslampen draußen auf dem Korridor gingen aus. Eine Frau schrie auf. Der Conte vernahm rasche Schritte, dann bat eine Männerstimme die Gäste, Ruhe zu bewahren. Man werde sich sofort um Licht bemühen. Es handle sich nur um eine kleine Unannehmlichkeit, die sofort behoben sein würde. Doch der Conte ahnte, dass mehr dahintersteckte als nur eine Böe, die durch ein unachtsam geöffnetes Fenster eingedrungen war. Er schob die Hand in seine Hosentasche und umfasste den Elfenbeingriff einer zierlichen Pistole.
    Da legten sich plötzlich Finger um sein Handgelenk, und ein Flüstern erklang in seinem Ohr: »Das würde ich lieber bleiben lassen, Conte. Und lassen Sie auch Ihren verborgenen Degen im Spazierstock stecken. Wir wollen doch nicht, dass heute Nacht jemand verletzt wird. Das ist es nicht wert.«
    Conte Contarini hielt inne und ließ es zu, dass die Hand in seine Tasche fuhr und die Pistole herauszog. Mit ihr verschwanden auch seine Taschenuhr, sein Siegelring und seine Börse. Man ließ ihm nichts außer den Jetons, die er beim Roulette gewonnen hatte. Doch es störte ihn nicht sonderlich. Er fühlte ein Kitzeln in der Nase, das ihn zum Niesen reizte. Eine unerklärliche Müdigkeit überfiel ihn und alles erschien ihm plötzlich vollkommen unwichtig. Der Conte ließ sich auf einen Stuhl sinken. Die Geräusche um ihn herum drangen wie durch zähen Nebel an sein Ohr. Leichte, flinke Schritte, ein Murmeln und Rauschen, eine Dame schluchzte leise, und doch herrschte eine friedliche Stimmung, die sich wie ein wärmendes Tuch über alle gelegt hatte. Der Conte spürte, wie sich jemand aus dem Raum zurückzog. Ein Fenster klapperte, ein letzter Windhauch huschte durch die Räume. Dann war es still. Erstaunlich still für einen Raum, in dem sich so viele Menschen aufhielten. Zögernd begannen die Gasleuchten im Flur zu flackern. Dann eilten zwei Männer in Livree
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