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Die Erben der Nacht - Oscuri: Band 6 (German Edition)

Die Erben der Nacht - Oscuri: Band 6 (German Edition)

Titel: Die Erben der Nacht - Oscuri: Band 6 (German Edition)
Autoren: Ulrike Schweikert
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herein, um die Kerzen in den Leuchtern wieder zu entzünden. Während es allmählich heller wurde, sah der Conte, die Menschen ihre Glieder recken oder sich schütteln, wie um einen Rest von Schlaf zu vertreiben. Die Damen tasteten nach ihren Ketten und Armbändern, die nicht mehr da waren, wo sie hätten sein sollen, und die Männer nach ihren ebenfalls verschwundenen Geldbörsen. Manche trugen es mit Fassung, andere begannen zu jammern oder zu fluchen. Die Croupiers am Roulettetisch starrten stumm in die leeren Kassenschubladen. Endlich räusperte sich einer von ihnen und teilte den Besuchern mit, dass das Spiel heute Nacht leider nicht fortgeführt werden könne. Er bat um Entschuldigung und schickte die Diener nach den Umhängen der Besucher. Diese erhoben sich und gingen mit seltsam schwankenden Schritten zur Tür.
    »Und wir können nicht einmal woanders weiterspielen. Ich habe nicht eine Lira mehr, die ich setzen könnte«, seufzte der junge Mann, der sich wieder an der Seite des Conte einfand. »Schade. Die Sterne standen wohl doch nicht so gut«, fügte er mit einem schwachen Grinsen hinzu.
    ***
    Ein Schemen huschte durch die Nacht. Lautlos eilten die Füße über die schräg abfallenden Ziegeldächer, ohne auch nur einmal den Halt zu verlieren. An einem der hölzernen Altane hielt der Schemen inne. Augen blitzten unter der weiten Kapuze und schweiften über die umliegenden Dächer und dann hinunter in den Kanal, der den Palazzo von der nächsten Häuserzeile trennte. Die Gestalt beugte sich ein wenig nach vorn. Es war niemand zu sehen. Schwarz und still stand das Wasser unter ihr. Nur ab und zu stieg das leise Geräusch der Wellen aus dem Kanal auf, das überall in Venedig zu hören war, sobald die Stimmen der Menschen und der Lärm ihrer Arbeit verstummt waren. Die Gestalt schlug ihren Umhang auseinander und öffnete die Schnüre, die den ebenfalls samtschwarzen Beutel zusammenhielten. Das Licht der Mondsichel fing sich in wertvollem Geschmeide und ließ geschliffene Edelsteine aufblitzen. Ein Lächeln umspielte die sinnlichen Lippen im Schatten der Kapuze. Dann teilten sie sich und entblößten weiße, regelmäßige Zähne. Schlanke Finger zogen den Beutel wieder zu und verstauten ihn sicher. Noch einmal sah die Gestalt zum Wasser vier Stockwerke unter ihr herab, dann kletterte sie behände über die hölzerne Brüstung und rannte, ohne zu zögern, auf die Dachkante zu. Sie stieß sich kraftvoll ab, breitete ihren Umhang aus und landete einen Wimpernschlag später sicher auf dem Dach gegenüber. Ohne innezuhalten, setzte sie ihren Lauf über die nächtlichen Dächer von Venedig fort und war schon bald in der Finsternis verschwunden.
    G IULIA
    Luciano de Nosferas lag mit geschlossenen Augen auf einem schmalen Ruhebett. Der einst sattgelbe Brokatstoff war verschlissen, doch die vergoldeten Löwenpranken, auf denen das Möbelstück ruhte, schimmerten noch immer prächtig im Schein der Öllampen, die zu beiden Seiten der mit Fresken geschmückten Wände befestigt waren. Auch wenn die Zeit ihre Spuren hinterlassen hatte  – seit seiner Erbauung waren immerhin mehr als achtzehn Jahrhunderte vergangen  – , zählte dieser Raum sicher zu den schöneren und noch erstaunlich gut erhaltenen in der weitläufigen Palastanlage der Domus Aurea. Der goldene Palast, den sich der römische Kaiser Nero einst bauen ließ, lag seit langer Zeit unter einem Hügel begraben, vor den Augen der Menschen verborgen. Ebenso verborgen lebten die Vampire vom Clan der Nosferas, die sich die Domus Aurea zu ihrem Domizil gewählt hatten.
    Luciano lauschte dem Klang der Violine, deren klagende Weise vom goldenen Saal zu ihm herüberwehte. Der Künstler, den Conte Claudio eingeladen hatte, war ein Meister auf seinem Instrument. Noch lauschten ihm die Zuhörer gebannt, doch Luciano fragte sich, ob der Violinist im Laufe dieser Nacht nicht bereuen würde, das Engagement an diesem ungewöhnlichen Ort angenommen zu haben. Nun, vermutlich würde er sich am anderen Tag nicht einmal mehr an diesen Auftritt erinnern können, wenn er  – vom Blutverlust geschwächt und verwirrt  – irgendwo in einer einsamen Ecke Roms erwachen würde. Zumindest hoffte Luciano, dass der Violinist den nächsten Tag noch erleben durfte. Es wäre schade um sein Talent. Zwar hatten die Clans ein Abkommen geschlossen, in dem sie sich verpflichtet hatten, keine Menschen mehr zu töten  – hauptsächlich, um nicht die Aufmerksamkeit von Vampirjägern auf sich zu
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