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Die Entstehung des Doktor Faustus

Die Entstehung des Doktor Faustus

Titel: Die Entstehung des Doktor Faustus
Autoren: Thomas Mann
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Mann‹ zu kämpfen, – was nie geschieht. In Afrika sind 200 000 Gefangene gemacht worden. Überlegenheit des Materials nach Quantität und Qualität erklärt den Sieg … Erwartung der Invasion in Italien. Unternehmungen gegen Sardinien und Sizilien zeichnen sich ab … Abends ›
Love’s Labour Lost‹.«
    Das Shakespeare-Stück gehört zur »Sache«. Es fällt in den Kreis – um ihn das Weltgetöse. »Zum Abendessen Werfels und Franks. Gespräch über Nietzsche und das Mitleid, das er erregt – mit ihm und allgemeinerer Heillosigkeit. Begegnungen mit Schönberg und Stravinsky in Aussicht genommen … Berechnungen von Zeit- und Altersverhältnissen im {429} Roman, Lebensdaten und Namen … Über Riemenschneider und seine Zeit. Aneignungsgeschäfte. Volbachs Instrumentenkunde. Aufzeichnungen zur Feststellung von Leverkühns musikalischem Typ. Vorname für ihn Anselm, Andreas oder
Adrian
. Anmerkungen zur fascistischen Zeitverfassung. Gesellschaft bei Werfels mit Schönbergs. Holte ihn viel über Musik und Komponistendasein aus, und es trifft sich gut, daß er selbst auf Verkehr der Häuser dringt … Neumanns bei uns zum Abendessen. Während die Frauen die Mahlzeit besorgten (wir sind ohne Mädchen), entwickelte ich N. den Plan des Romans zu seinem erregten Staunen.«
    Ich vergesse das nie. Die aufhorchende und exklamatorische Anteilnahme des getreuen, von mir immer wertgehaltenen Mannes bestätigten mir alle Lust- und Leidensverheißungen, die von der in rasch fließender Rede ihm vorgetragenen Werk-Idee ausgingen. Vermutlich war es die Flucht aus den Schwierigkeiten der Kulturkrise in den Teufelspakt, der Durst eines stolzen und von Sterilität bedrohten Geistes nach Enthemmung um jeden Preis und die Parallelisierung verderblicher, in den Collaps mündender Euphorie mit dem fascistischen Völkerrausch, was ihn am meisten beeindruckte. Noch auf der Heimfahrt soll er zu seiner Frau beständig von dem vertraulich Mitgeteilten gesprochen haben.
    Am 23. Mai 43, einem Sonntagmorgen, kaum mehr als zwei Monate nachdem ich jenes alte Notizbuch hervorgezogen, dem Datum, an dem ich auch meinen Erzähler, Serenus Zeitblom, sich an sein Werk machen lasse, begann ich
Doktor Faustus
zu schreiben.

IV
    Zu welchem Zeitpunkt ich den Beschluß faßte, das Medium des »Freundes« zwischen mich und den Gegenstand zu schalten, also das Leben Adrian Leverkühns nicht selbst zu erzählen, {430} sondern es erzählen zu lassen, folglich keinen Roman, sondern eine Biographie mit allen Charakteristiken einer solchen zu schreiben, geht aus den Aufzeichnungen von damals nicht hervor. Gewiß hatte die Erinnerung an die parodistische Autobiographie Felix Krulls dabei mitgewirkt, und überdies war die Maßnahme bitter notwendig, um eine gewisse Durchheiterung des düsteren Stoffes zu erzielen und mir selbst, wie dem Leser, seine Schrecknisse erträglich zu machen. Das Dämonische durch ein exemplarisch undämonisches Mittel gehen zu lassen, eine humanistisch fromme und schlichte, liebend verschreckte Seele mit seiner Darstellung zu beauftragen, war an sich eine komische Idee, entlastend gewissermaßen, denn es erlaubte mir, die Erregung durch alles Direkte, Persönliche, Bekenntnishafte, das der unheimlichen Konzeption zu Grunde lag, ins Indirekte zu schieben und sie in der Verwirrung, dem Händezittern jener bangen Seele travestierend sich malen zu lassen.
    Was ich durch die Einschaltung des Narrators gewann, war aber vor allem die Möglichkeit, die Erzählung auf doppelter Zeitebene spielen zu lassen, die Erlebnisse, welche den Schreibenden erschüttern, während er schreibt, polyphon mit denen zu verschränken, von denen er berichtet, also daß sich das Zittern seiner Hand aus den Vibrationen ferner Bombeneinschläge und aus inneren Schrecknissen zweideutig und auch wieder eindeutig erklärt.
    Daß Studienrat Zeitblom an dem Tage zu schreiben beginnt, an dem ich selbst, in der Tat, die ersten Zeilen zu Papier brachte, ist kennzeichnend für das ganze Buch: für das eigentümlich
Wirkliche
, das ihm anhaftet, und das, von einer Seite gesehen, ein Kunstgriff, das spielende Bemühen um die genaue und bis zum Vexatorischen gehende Realisierung von etwas Fiktivem, der Biographie und dem Hervorbringen Leverkühns, ist, von {431} einer anderen aber eine nie gekannte, in ihrer phantastischen Mechanik mich dauernd bestürzenden Rücksichtslosigkeit im Aufmontieren von faktischen, historischen, persönlichen, ja literarischen Gegebenheiten,
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