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Die Entstehung des Doktor Faustus

Die Entstehung des Doktor Faustus

Titel: Die Entstehung des Doktor Faustus
Autoren: Thomas Mann
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beschäftigt mich. Die Antwort Professor Tillichs mit Informationen über das Studium der Theologie traf ein. Ich las Luthers Kommentar zur Apokalypse {436} und Berlioz’ Memoiren in englischer Übersetzung. Auf einer Abendgesellschaft bei Feuchtwangers trafen wir außer Miß Dodd, der Tochter des ehemaligen Botschafters in Hitler-Deutschland, den Schauspieler Homolka und unter anderen auch Franz Werfel, der mir bei dieser Gelegenheit zum erstenmal von seinem neuen Roman-Unternehmen, der utopischen Phantasie
Stern der Ungeborenen
und den gewaltigen Schwierigkeiten sprach, die sie biete. Brüderliche Empfindungen erfüllten mich. Da war ein Kamerad, – auch einer, der sich auf Verrücktes, wahrscheinlich nicht Mögliches eingelassen hatte …
    Einige Tage danach fiel mir Ernst Křeneks Buch
Music Here and Now
in die Hände, das sich als ein Hilfs- und Nutzwerk ersten Ranges erwies. »Lange in Křeneks
Music
« heißt es im Tagebuch zu mehreren Malen. Gleichzeitig stieß ich in irgendeiner Zeitschrift auf merkwürdige Mitteilungen über geistliche Musik bei den Pennsylvania Seventh-day Baptists, das heißt auf die wunderliche Figur jenes Johann Conrad Beißel, die ich sogleich in die Vorträge aufzunehmen beschloß, mit denen Kretzschmar, der Stotterer, dem jungen Adrian (und dem Leser) das Gebiet der Musik eröffnet, – des skurrilen »Systemherrn« und Schulmeisters, dessen Andenken dann durch den ganzen Roman spukt.
    Es war fast befremdlich, welche Sorge das Technisch-musikalische mir machte, dessen Beherrschung, so weit wenigstens, daß dem Fachmann (und es gibt kein eifersüchtiger gehütetes Fach) der Spott verging, zu den Voraussetzungen des Werkes gehörte. Ich hatte doch immer der Musik nahe gewohnt, unendliche Anregung und künstlerische Belehrung von ihr empfangen, als Erzähler ihre Praktiken geübt, als kritisch Versuchender ihre Gebilde beschrieben, so daß ein Prominenter der Gilde, Ernst Toch, im Hinblick auf mein »Musizieren« einmal von der »aufgehobenen Grenze zwischen Musik als zünftigem {437} und als universellem Element« hatte sprechen können. Das Schlimme war, daß diesmal das »Universelle« nicht ausreichte, ja daß es nahezu mit dem Pfuscherhaft-Dilettantischen zusammenfiel. Das Zünftige war gefordert. Nichts läppischer, in einem Künstler-Roman, als Kunst, Genie, Werk nur zu behaupten, nur anzupreisen, von ihren seelischen Wirkungen nur zu schwärmen. Hier galt es Realisierung, galt
Exaktheit
 – nichts war mir klarer. »Ich werde Musik studieren müssen«, sagte ich zu meinem Bruder, als ich ihm von meinem Vorhaben erzählte. Und dabei gesteht das Tagebuch: »Technische musikalische Studien schrecken und langweilen mich.« Das heißt nicht, daß es mir an Eifer fehlte und Fleiß, in die musikalische Fach-, Lebens- und Produktionssphäre lesend und forschend einzudringen, so gut wie ich etwa beim Dienst am
Joseph
in die Welt des Orientalismus, des Urreligiösen und des Mythos eingedrungen war. Ich könnte einen kleinen Katalog von Büchern aufstellen, englischen und deutschen, gewiß zwei Dutzend, über Musik und Musiker, die ich »mit dem Bleistift« studierte, so angelegentlich und wachsam, wie man nur zu produktivem Zweck, um eines Werkes willen, liest. Aber eigentliches Musik-Studium war all diese Kontaktnahme nicht, sie schützte mich wenig vor der Bloßstellung meiner Unwissenheit im Exakten, und das Lebenswerk eines bedeutenden Komponisten aufzubauen, so, daß es wirklich schien, daß man es hörte, daß man daran
glaubte
(und nicht weniger als das verlangte ich von mir), befähigte sie mich nicht. Ich fühlte wohl, daß ich dazu der Hilfe von außen, des Ratgebers, des fachkundigen und zugleich der Absichten meiner Dichtung kundigen und wissend mitimaginierenden Instruktors bedurfte; und solche Hilfe anzunehmen war ich umso bereiter, als die Musik, sofern der Roman von ihr
handelt
(denn freilich praktiziert er sie auch – aber das ist eine Sache für sich), nur Vordergrund und Reprä {438} sentation, nur Paradigma war für Allgemeineres, nur Mittel, die Situation der Kunst überhaupt, der Kultur, ja des Menschen, des Geistes selbst in unserer durch und durch kritischen Epoche auszudrücken. Ein Musik-Roman? Ja. Aber er war als Kultur- und Epochen-Roman gedacht, und Unbedenklichkeit in der Annahme von Hilfe bei der exakten Realisierung des Mittels und Vordergrundes war mir das selbstverständlichste Ding von der Welt.
    Der Helfer, Ratgeber, teilnehmende Instruktor
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