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Die Entstehung des Doktor Faustus

Die Entstehung des Doktor Faustus

Titel: Die Entstehung des Doktor Faustus
Autoren: Thomas Mann
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wurde gefunden, – nach seiner ausnehmenden Beschlagenheit im Fachlichen und seinem geistigen Rang genau der richtige. »Buch,
Eingebung im musikalischen Schaffen
von Bahle«, heißt es unter einem frühen Datum im Juli 43. »Wichtig. Überbracht von
Dr. Adorno
.« Kaum sehe ich, inwiefern das genannte Buch für meine Arbeit sonderlich wichtig geworden sein sollte. Der Name des aufmerksamen Überbringers aber (der also von meinem Betreiben wußte) taucht etwa vierzehn Tage später – es war der Zeitpunkt der Einnahme von Palermo, der großen russischen Offensive, und ich stand im VII. Kapitel des
Faustus –
wieder auf. »Schrift von Dr. Adorno
Zur Philosophie der modernen Musik
 … In der Schrift von Adorno. In Adornos Manuskript, angelegentlich … Abends weiter in der Musikschrift, die mich über manches informiert und mir zugleich die ganze Schwierigkeit meines Vorsatze zeigt … Beendete die Lektüre der Schrift von Adorno. Augenblicke der Erhellung über Adrians Position. Die Schwierigkeiten müssen sich erst ganz auswachsen, bevor sie überwunden werden können. Die verzweifelte Lage der Kunst: stimmigstes Moment. Hauptgedanke der erkauften Inspiration, die im Rausch darüber hinwegträgt, nicht aus dem Gesicht zu verlieren …«
    Hier war in der Tat etwas »Wichtiges«. Ich fand eine artistisch-soziologische Situationskritik von größter Fortge {439} schrittenheit, Feinheit und Tiefe, welche die eigentümlichste Affinität zur Idee meines Werkes, zu der »Komposition«, hatte, in der ich lebte, an der ich webte. In mir entschied es sich: »Das ist mein Mann.«
    Theodor Wiesengrund-Adorno, Jahrgang 1903, ist in Frankfurt am Main geboren. Sein Vater war deutscher Jude, seine Mutter, selbst Sängerin, ist die Tochter eines französischen Offiziers korsischer – ursprünglicher genuesischer – Abstammung und einer deutschen Sängerin. Er ist ein Vetter jenes Walter Benjamin, der, von den Nazis zu Tode gehetzt, das erstaunlich scharf- und tiefsinnige Buch über das »Deutsche Trauerspiel«, eigentlich eine Philosophie und Geschichte der Allegorie, hinterließ. Adorno, wie er sich mit dem Mädchennamen seiner Mutter nennt, ist ein Mensch von ähnlicher, spröder, tragisch-kluger und exklusiver Geistesform. Aufgewachsen in einer ganz und gar von theoretischen (auch politischen) und künstlerischen, vor allem musikalischen Interessen beherrschten Atmosphäre, studierte er Philosophie und Musik und habilitierte sich 1931 als Privatdozent an der Frankfurter Universität, wo er Philosophie lehrte, bis er von den Nazis verjagt wurde. Seit 1941 lebt er, fast nachbarlich nahe bei uns, in Los Angeles.
    Dieser merkwürdige Kopf hat die berufliche Entscheidung zwischen Philosophie und Musik sein Leben lang abgelehnt. Zu gewiß war es ihm, daß er in beiden divergenten Bereichen eigentlich das Gleiche verfolge. Seine dialektische Gedankenrichtung und gesellschaftlich-geschichtsphilosophische Tendenz verschränkt sich auf eine heute wohl nicht ganz einmalige, in der Problematik der Zeit begründete Weise mit der musikalischen Passion. Die Studien, welche dieser dienten, Komposition und Klavier, betrieb er anfangs bei Frankfurter Musikpädagogen, dann bei Alban Berg und Eduard Steuer {440} mann in Wien. 1928 bis 1931 war er als Redakteur des Wiener »Anbruchs« im Sinne der radikalen modernen Musik tätig.
    Wie kommt es aber, daß dieser »Radikalismus«, unter dem der Laie sich eine Art von musikalischem Sansculottentum vorzustellen geneigt ist, mit dem stärksten Sinn für Tradition, mit einer ausgesprochen historischen Stimmung und dem unerbittlichsten Bestehen auf Können, Strenge und Solidität des Handwerks einhergeht, – wie ich das bei Musikern dieses Typs immer wieder gefunden habe? Was er etwa gegen Wagner auf dem Herzen hat, dieser Typ, ist nicht so sehr dessen Romantismus, seine Schwelgerei, seine »Bürgerlichkeit« oder seine Demagogie. Es ist vielmehr dies, daß er sehr oft ganz einfach »schlecht komponiert«. – Ich habe kein Urteil darüber, wie Adorno komponiert. Aber seine Kenntnis des Überlieferten, seine Beherrschung des musikalischen Gesamtbestandes ist enorm. Eine amerikanische Sängerin, die mit ihm arbeitet, sagte mir: »Es ist unglaublich. Er kennt jede Note der Welt.«
    Das Manuskript, das er mir damals brachte, und dessen »Einschlägigkeit«, dessen frappantes Passen in die Sphäre meines Romans sogleich meine Aufmerksamkeit spannte, hatte im wesentlichen Schönberg, dessen
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