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Die Entmündigung (German Edition)

Die Entmündigung (German Edition)

Titel: Die Entmündigung (German Edition)
Autoren: Honoré de Balzac
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Bianchon.
    »Abgemacht«, sagte Rastignac. »Und du versprichst mir Popinot?«
    »Ja, ich werde alles tun, was mir mein Gewissen erlaubt. Vielleicht verbirgt sich hinter diesem Antrag auf Entmündigung irgendein kleines ›Dramorama‹, um uns mit einem Wort an unsre alte gute Zeit zu erinnern.«
    ›Armer Bianchon! Er wird immer nur ein Ehrenmann bleiben‹, sagte sich Rastignac, als er den Wagen fortfahren sah.
    ›Rastignac hat mir da das schwierigste von allen Geschäften aufgetragen‹, sagte sich Bianchon, als er sich beim Aufstehen an die zart zu behandelnde Angelegenheit erinnerte, die ihm anvertraut war. ›Aber ich habe ja noch nie von meinem Onkel den geringsten richterlichen Beistand verlangt und habe doch mehr als tausend Krankenbesuche gratis für ihn gemacht. Und im übrigen genieren wir uns nicht vor einander. Er wird ja oder nein sagen, und damit ist alles erledigt.
    Nach diesem kleinen Monolog begab sich der berühmte Arzt um sieben Uhr morgens in die Rue du Fouarre, wo Herr Jean-Jules Popinot, Richter am Tribunal erster Instanz des Seinedepartements, wohnte. Die Rue du Fouarre, womit früher die Rue de la Paille bezeichnet wurde, war im dreizehnten Jahrhundert die berühmteste Straße von Paris. Hier befanden sich die Hochschulen der Universität, als die Stimmen Abailards und Gersons in der gelehrten Welt Widerhall fanden. Heute ist sie eine der schmutzigsten Straßen des zwölften Bezirks, des ärmsten Viertels von Paris, desjenigen, wo zwei Drittel der Bevölkerung im Winter kein Holz haben, das die meisten Findelkinder im Kinderasyl aussetzt, die meisten Kranken ins Krankenhaus schickt, die meisten Bettler auf die Straße sendet, das die meisten Lumpensammler an den Straßenecken hat, wo die meisten alten Kranken an den Mauern entlang nach einem bißchen Sonne suchen, wo die meisten Arbeitslosen auf den Plätzen zu finden sind und die meisten Haftbefehle der Zuchtpolizei ergehen. Mitten in dieser immer feuchten Straße, deren Rinnsteine aus verschiedenen Färbereien ihr schmutziges Wasser in die Seine abfließen lassen, steht ein altes, jedenfalls unter Franz I. restauriertes Haus aus Bruchsteinen, die von Reihen geschnittener Steine festgehalten werden. Seine Haltbarkeit scheint durch sein äußerliches Aussehen gewährleistet zu sein, wie es nicht selten an manchen Pariser Häusern wahrzunehmen ist. Wenn man das Wort wagen darf, hat es gewissermaßen einen Bauch, der sich durch die Ausbuchtung seines ersten Stockwerkes ergibt, das durch das Gewicht des zweiten und dritten Stockwerkes gedrückt, aber von der starken Mauer des Erdgeschosses gehalten wird. Beim ersten Blick scheinen die Flächen zwischen den Fenstern, wenn sie auch durch ihre Umrahmungen aus geschnittenen Steinen festgehalten werden, auseinanderzuplatzen; aber ein Beobachter bemerkt bald, daß es mit diesem Hause sich wie mit dem Turm von Bologna verhält: die alten Ziegel und die alten verwitterten Steine bewahren unüberwindlich ihr altes Gleichgewicht. Zu jeder Jahreszeit zeigen die festen Lagen des Erdgeschosses die gelbliche und unmerklich schwitzende Farbe, die die Feuchtigkeit dem Stein mitteilt. Dem Passanten wird kalt, wenn er die Mauer entlang geht, wo die gerundeten Steine ihn schlecht vor den Rädern der Kabrioletts behüten. Wie bei allen Häusern, die vor der Erfindung der Wagen gebaut wurden, bildet die Toröffnung einen außerordentlich niedrigen Bogen, ähnlich dem an einer Gefängnistür. Rechts von diesem Tor befinden sich drei Fenster, außen mit Gittern aus eisernen Maschen bekleidet, die so eng stehen, daß es Neugierigen unmöglich ist, die Bestimmung der feuchten düsteren Zimmer zu erraten, dort hinter den schmutzigen und staubigen Fensterscheiben; links stehen zwei ähnliche Fenster, von denen eins, das manchmal geöffnet ist, den Portier nebst Frau und Kindern sehen läßt, die herumwimmeln, arbeiten, kochen, essen und schreien inmitten eines Zimmers, das gedielt und mit Holz verschlagen ist, wo alles in Fetzen zerfällt und in das man auf zwei Stufen hinabsteigt: ein Zeichen für die allmähliche Erhöhung des Pariser Pflasters. Wenn an einem Regentage ein Passant in der langen Halle mit hervorspringenden weißgekalkten Balken untertritt, der von der Tür zur Treppe führt, ist er genötigt, das Bild des Innern dieses Hauses zu betrachten. Links befindet sich ein quadratisches Gärtchen, das nur vier Schritte nach jeder Richtung hin zu machen gestattet, ein Garten mit schwarzer Erde, mit Gittern ohne
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