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Die Eisbärin (German Edition)

Die Eisbärin (German Edition)

Titel: Die Eisbärin (German Edition)
Autoren: Matthias Gereon
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vergangenen Jahren in seine Lungen gepumpt hatte, hatten ihre Spuren auf seinem Gesicht hinterlassen. Vom Alkohol und Schlafmangel gar nicht zu sprechen. Tiefe Falten zeichneten scharfe Konturen in sein Gesicht. Es sah aus wie aus grobem Holz geschnitzt.
    Lewandowski schob Linda beiseite und schloss das Fenster. »Ich muss nicht auch noch krank werden. Die halbe Abteilung liegt schon flach.«
    »Erstickst lieber, was?«, hüstelte sie.
    »Wir sind nicht verheiratet, oder?«, maulte er schlecht gelaunt. »Wann ist es eigentlich so weit?«
    »In knapp drei Wochen.«
    »Und, schon alles organisiert für den großen Tag?«
    Linda ignorierte seinen ironischen Unterton. »Lukas kümmert sich um alles. Außerdem ist es nicht kompliziert, in den USA zu heiraten. Das ist weniger Papierkram als hier. Wir heiraten auf Maui am Strand, und außer einem Standesbeamten wird niemand sonst da sein. Das ist also keine große Sache. Die Feier für Familie und Freunde holen wir dann nach, wenn wir wieder zurück sind. Du bist auch herzlich eingeladen.« Sie grinste ihn schief an.
    Lewandowski nickte nachdenklich. »Danke, aber willst du’s dir nicht noch mal überlegen? Unser Job taugt nicht für die Ehe. Ich weiß, wovon ich spreche. Hab’s zweimal versucht und bin jämmerlich gescheitert.«
    »Schmarrn.«
    »Und Männer können nicht treu sein.«
    »Ach was.« Linda wusste, dass er das nur sagte, um sie zu ärgern. Trotzdem verfehlte es seine Wirkung nicht. Aber sie schwieg dazu, das konnte sie gut.
    Lewandowski deutete auf eine Mappe, die auf seinem Schreibtisch lag. »Es gibt eine Vermisstenanzeige. Ein Teenager ist seit Freitag abgängig.«
    »Ach, der taucht bestimmt wieder auf.«
    »Trotzdem. Kümmer dich drum«, sagte Lewandowski. »Es ist ein Mädchen.«
    »Was geht’s uns an? Noch ist sie ja wohl am Leben.«
    »Wir sind unterbesetzt. Die Hälfte unserer Leute liegt mit Grippe im Bett. Schlubach will, dass wir einspringen, soweit wir Zeit haben. Und momentan gibt’s ja keinen Mord in der Stadt. Also geh der Sache nach.«
    Linda schnappte sich die Mappe, warf einen kurzen Blick hinein und registrierte die Adresse. Das lag in der Nähe des Parks. »Mach ich. Und ich fahr auch mal zum Englischen Garten. Da hat es heute Nacht irgendwelche Hilferufe gegeben.«
    Lewandowski zündete sich eine neue Zigarette an, während er die andere im Aschenbecher ausgedrückte. »Von mir aus, aber geh zuerst zu den Eltern. Das hat Vorrang.«
    »Ernährst du dich eigentlich davon?«, fragte Linda mit Blick auf die Kippe.
    »Schau, dass du Land gewinnst, Nervensäge!« Er griff nach dem Aschenbecher. »Sonst gibt’s doch noch einen Mord.«
    Schnell suchte sie das Weite.
    3
    Linda fuhr zuerst zum Englischen Garten. Erstens lag der auf dem Weg zu den Eltern, die ihr Kind als vermisst gemeldet hatten, und zweitens machte sie nie, was andere von ihr verlangten. Sie entschied selbst, was Priorität hatte, was nicht immer von Vorteil für ihr berufliches Fortkommen war. Immer wieder geriet sie deswegen mit Lewandowski aneinander. Um Streit zu vermeiden, versuchte sie ihre Eigenmächtigkeiten zu verheimlichen, soweit es ging.
    Die Polizisten hatten ihrem Bericht eine Skizze beigefügt. Darin war die Stelle markiert, an der sie das Hemdchen gefunden hatten und von wo die Schreie gekommen waren. Linda stand fröstelnd im Englischen Garten und hörte den Eisbach neben sich rauschen. Sie spürte, wie beim Atmen die Härchen in ihrer Nase gefroren.
    Langsam ging sie am Ufer des kleinen Seitenarms der Isar entlang. Eigentlich durchzogen viele Bachläufe den Park, der Eisbach war nur einer davon. Er trat in Höhe der Prinzregentenstraße aus seinem unterirdischen Bett an die Oberfläche. In diesem Bereich war sein Ufer befestigt, bis er sich ab dem Hirschanger wieder durch ein natürlich anmutendes Bett wälzte und schließlich am Herzogpark in die Isar mündete. Die Bäche waren Reste des einst ausgedehnten Seitenarmsystems der Isar. Im Gegensatz zu den Stadtbächen flossen die Bäche im Englischen Garten größtenteils überirdisch.
    Der Eisbach war kein stilles Gewässer, sondern ein reißender Bach, der selbst an brütend heißen Augusttagen seinem Namen alle Ehre machte. Er wurde nie wärmer als 16 Grad, und er galt als die Touristenattraktion, sommers wie winters. Ein Stück weiter flussabwärts gab es eine spezielle Wiese für die Sonnenanbeter. Hier lagen im Sommer die »Nackerten« am Ufer des Eisbachs. Das stand in jedem Reiseführer und viele
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