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Die einzige Zeugin

Die einzige Zeugin

Titel: Die einzige Zeugin
Autoren: Anne Cassidy
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die andere. Sie las die SMS. Sie war genau so, wie sie erwartet hatte. Voller Abkürzungen und Ausrufezeichen. Es tat ihm so leid!!! Aber Dinge ändern sich, Menschen ändern sich, usw. usw., Alles Liebe! XXX Donny.
    Sie waren aus Cornwall weggezogen, weil Donny eine neue Stelle als Mathelehrer an einer Schule in London bekommen hatte. Für ihn bedeutete das einen Aufstieg und jede Menge mehr Geld. Donny hatte vorgeschlagen, dass sie ihr Haus in Cornwall als Ferienhaus behielten. Damit sie sich immer dorthin zurückziehen könnten, wenn sie von der Stadt die Nase voll hatten. Sie mieteten in London ein kleines Häuschen im Stadtteil Bethnal Green und Jessica machte sich auf Jobsuche.
    Der Umzug war gerade zum richtigen Zeitpunkt gekommen. Lauren hatte sich in der Schule gelangweilt, der Unterricht, ihre Freunde und das Kleinstadtleben an der Küste waren ihr plötzlich eintönig vorgekommen. Jessicas einzige Sorge war, dass sie so nah an den Ort zurückkehrten, an dem Lauren gelebt hatte, bis sie sieben Jahre alt war. Das mache nichts, hatte Lauren ihr versichert. Etwas Veränderung könnten sie alle gebrauchen.
    Donny war kurz nach Weihnachten nach London gezogen, und sie und Jessica waren einige Wochen später nachgekommen. Jetzt war April. Es war das erste Mal, dass sie ihrem alten Zuhause einen Besuch abstattete. Sie hatte öfter daran gedacht. Ihre Schule war nicht weit entfernt und sie war schon mehrmals nahe daran gewesen, einen Umweg in diese Straße zu machen, hatte es dann aber doch nicht getan. Jessica und sie hatten alle Hände voll zu tun gehabt, das Haus in Bethnal Green zu renovieren und alles so herzurichten, wie sie es haben wollten. Vor einigen Wochen war im Garten eine Katze aufgetaucht. Jessica hatte sie Tag für Tag mit Leckereien umworben, und jetzt wohnte sie bei ihnen im Haus. Jessica hatte sie Cäsar genannt. Bis sie dann vor zwei Wochen, in der Besenkammer unter der Treppe, mitten im Altpapier drei kleine Kätzchen gefunden hatte. Seitdem hieß die Katze Kleopatra. Donny hatte sich kaputtgelacht, als Jessica es ihm erzählt hatte.
    Das war das letzte Mal gewesen, dass sie Donny und Jessica gemeinsam über etwas lachen hörte.
    Das Licht im Dachgeschoss von Nummer 49 ging aus. Lauren betrachtete einen Moment das schwarze Fenster. Dann senkte sie den Blick zum darunterliegenden Stockwerk. Das Zimmer mit dem Erkerfenster war das Schlafzimmer ihrer Eltern gewesen. Ein großer Raum mit einem riesigen Kleiderschrank und einer Kommode, die so massiv war, dass Lauren an den Schubladengriffen nach oben klettern konnte.
    Noch eine Erinnerung, ein weiteres Bild, kam ihr in den Kopf. Die Daunendecke auf dem Bett ihrer Eltern, seidig und weich. Sie hatte immer ihre Wange darauf gelegt. Von dort aus, wo sie lag, konnte sie die Stäbe von Daisys Kinderbettchen sehen. Daisys Beine strampelten in der Luft. Ihre Mutter ging im Zimmer umher, ihre Schritte bewegten sich leise über den Boden. Sie machte sich fertig für die Nacht. Alle drei schliefen in dem großen Zimmer.
    Oben öffnete sich ein Fenster und holte sie aus ihren Gedanken. Das Licht ging an, es war wie auf einer Bühne. Der Junge stand da. Dieses Mal sah er sie ganz eindeutig, er starrte sie an, sein Blick legte sich schwer auf ihre Schultern. Sie zog den Kragen ihrer Jacke weit ins Gesicht. Sie sollte jetzt besser gehen. Sie sollte sich einfach umdrehen und weglaufen. Sie schaute schnell wieder zum Fenster. Der Junge winkte ihr zu, als stünde er oben auf einem Schiff und sie unten am Kai. Aber er war nicht auf einem Schiff, er war im Schlafzimmer ihrer Eltern.
    Einem Zimmer, das sie gut kannte.
    Vor zehn Jahren war sie in diesem Zimmer gestorben und wieder ins Leben zurückgekommen.

2
    Als sie nach Hause kam, war Jessica noch wach.
    »Wo warst du?«, fragte sie.
    Lauren war müde. Es war kurz vor Mitternacht und sie war von der Hazelwood Road bis nach Hause gelaufen. Es hatte über eine halbe Stunde gedauert. Der Regen war stärker geworden, und sie hatte ein paar grölenden Jungs und mehreren Betrunkenen aus dem Weg gehen müssen. Ihre Haare waren klatschnass. Sie lagen schwer auf ihren Schultern.
    Sie schälte sich aus der Jacke, ohne zu antworten. Es hatte keinen Sinn, mit Jessica zu reden, wenn sie in dieser Stimmung war. Sie ging in die Küche und nahm eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank. Sie fühlte, wie sich Jessicas Blick in ihren Rücken bohrte. In einer Ecke bei der Hintertür stand der Karton mit den Kätzchen. Kleopatra lag
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