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Die einzige Blume im Sumpf - Geschichten aus Ägypten

Die einzige Blume im Sumpf - Geschichten aus Ägypten

Titel: Die einzige Blume im Sumpf - Geschichten aus Ägypten
Autoren: Lenos Verlag
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fielen sie vom Himmel über sie her. Die Hände schoben sie vom Wagen und von der Autokolonne weg, so dass sie zwischen die unzähligen Füsse fiel, von denen – so bemerkte Sainât in jenem Augenblick – viele in Lederstiefeln steckten; an einigen waren Revolver befestigt, genug, um ein ganzes Dorf niederzumetzeln.
    Jedoch hat dieser bedauerliche und ungeheuer schmerzliche Vorfall, an dem Sainât anschliessend sehr litt, sie nicht daran gehindert, ihre Beziehung zum Präsidenten fortzusetzen; ihre Gefühle für ihn änderten sich nie. Auch seine Bilder in ihrer Hütte blieben an ihrem Platz; es gab ja auch sonst nichts, was die Hütte schmückte, diese Hütte, die Sainât mit eigener Hand aus Steinen, Ziegeln und Blech gebaut hatte, nachdem sie sich einiger Quadratmeter öffentlichen Grund und Bodens direkt neben der Hauptstrasse bemächtigt hatte, und vor der sie nun mit kleinen Unterbrechungen vom Morgen bis kurz vor Sonnenuntergang sass, in Erwartung des Kommens und Gehens der Schüler der Grundschule, die eigentlich aus drei Schulen bestand, denn die Jungen und Mädchen wurden darin schichtweise unterrichtet. Sainât verkaufte ihnen Honiglutscher, Popcorn, Lupinenkerne und kleine Plastikspielzeuge, die als Preis den Gewinnern bei Glücksspielen winkten, die sie ebenfalls bei ihr kauften.
    Doch Briefe an den Präsidenten zu schreiben und zuschicken, wurde Sainât nie müde, was nochmals bestätigt, dass die Beziehungen zwischen ihr und dem Präsidenten nicht beeinträchtigt wurden, sondern gänzlich ungetrübt blieben. Entscheidend für Sainât war, dass sich dieses Vorkommnis hinter dem Rücken des Präsidenten abgespielt hatte. Hätte er nämlich gewusst, dass diese gottvergessenen Kreaturen sie gehindert hatten, ihm einen guten Tag zu wünschen und ihm das Briefchen zu überreichen, er würde sie ganz sicher hinter die Sonne geschickt haben. Er versteht ja und kennt Sainâts Absicht und weiss, dass sie ihm keinen Ärger machen will. Denn sonst, wenn dem nicht so wäre, hätte er doch nicht auf ihre Briefe mehr als nur einmal geantwortet? Und ihr Anliegen hätte doch auch nicht die Aufmerksamkeit der Regierung geweckt? Und er hätte ihr doch auch keine Staatsangestellte geschickt, um gerade ihre Hütte in Augenschein zu nehmen und so festzustellen, wie Sainât wohnte, und ihr viele Fragen über ihre Lebensverhältnisse und die Welt insgesamt zu stellen? Ja, sie hatte ihr versichert, ihr Anliegen würde im Verlauf der kommenden Monate geprüft.
    Und die folgenden paar Monate enttäuschten Sainâts Hoffnung auf den Präsidenten nicht. Ja, man könnte sogar sagen, dass der Plan, den sie im Lichte der Erklärungen der Regierungsangestellten entwickelt hatte, diesmal erfolgreich war. Es handelte sich um so etwas wie einen kleinen Entwicklungsplan Sainâts für sich selbst, der sich in seinen Grundzügen dahin gehend zusammenfassen lässt, dass sie sich selbst beim Essen von Zeit zu Zeit etwas mehr gönnen und sich zu diesem Zwecke einen Gaskocher und einen Aluminiumtopf zulegen würde, um darin jedesmal, wenn sieetwas Fleisch zu essen verlangte, zu kochen. Ausserdem wollte sie den Kauf einer neuen Galabija aus glänzendem Samt unternehmen, um ihre zerrissene bisherige zu ersetzen, ebenso eines Kopftuchs mit Pailletten. Vor allen Dingen aber würde sie, mit des Alleinzigen Erlaubnis, bei Abduh dem Barbier ihre sichtbaren Schulden begleichen, die sich auf zwei Pfund beliefen – die letzte Rate, die er noch zugute hatte von einer alten Anleihe, die sie bei ihm hatte aufnehmen müssen, um neue Waren für ihren Handel zu besorgen. Auch die unsichtbaren Schulden wollte sie begleichen, die anlässlich mehrfacher Einladungen zu einer Fleischmahlzeit bei ihrem Bruder entstanden waren, der mehrere Kinder hatte, und die mehrfachen fünfzig Groschen, mit denen er sie an jedem Monatsanfang unterstützte. Mit zwei Kilo Fleisch, so hatte Sainât beschlossen, wollte sie ihren Bruder besuchen, sobald sie das Geld in der Hand hätte. Und nicht zu vergessen zwei stattliche Hühner und eine Flasche Rosenwassersorbet als Zeichen tiefer Dankbarkeit an Abduh den Barbier für seine Hilfsbereitschaft und seine Dienste bei der Abfassung ihrer Schreiben an den Präsidenten der Republik. Diese Dienste waren jetzt endlich von Erfolg gekrönt, nun, da die Auszahlung einer Sonderrente in Höhe von vollen drei Pfund, nicht mehr und nicht weniger, beschlossen war. Endlich war es soweit, dass sie deswegen persönlich, aufrecht und sicher,
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