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Die einzige Blume im Sumpf - Geschichten aus Ägypten

Die einzige Blume im Sumpf - Geschichten aus Ägypten

Titel: Die einzige Blume im Sumpf - Geschichten aus Ägypten
Autoren: Lenos Verlag
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und entspannt über das linke, begann, genussvoll an ihrem Daumen zu lutschen, und dachte über die mögliche Bedeutung dieser »Flanken« nach und sinnierte, ob es sich dabei um eine Art Klee oder eine Art Süssigkeit oder eine Art Maulesel handeln könnte.
    Auf der Suche nach einer möglichen Bedeutung drängten sich die Bilder in ihrer Phantasie, und wenn all die Fragen sie erschöpften und sie plötzlich bemerkte, dass schon zuviel Wasser in die Abwaschschüssel gelaufen war oder dass das Essen genug gekocht hatte, machte sie sich wieder an ihre Arbeit. Wut und Ratlosigkeit setzten in ihrem Körper eine gewaltige Kraft frei, und sie rieb und polierte die Teller, bis sie blitzblank waren, oder legte das Besteck noch ordentlicher an seinen Platz und leierte dabei die Worte »ei-ner Ga-zel-le Flan-ken, und Bei-ne wie ein Strauss« vor sich hin und schaute durch das mit Eisenstäben vergitterte Fenster vor sich hinaus. Dahinter war, direkt gegenüber, das Schulgebäude sichtbar und der weite blaue Himmel, der es beschirmte. Die Stimmen der Mädchen tönten kräftig und trotzig zu ihr herüber. Sie spürte, wie sie fast wahnsinnig wurde, und da schrie sie mit aller Kraft, die in ihrer Kehle steckte, mit ihnen im Chor: »Ei-nes Wol-fes Trab-lauf, und der Jung-füch-se Ga-lopp«.
    Die Geheimnisse noch vieler anderer Dinge – ausser der Bedeutung dieses Wortes »Flanken« – zu erfahren, wünschte sie sich, Dinge, von denen sie aus dieser verborgenen Zauberwelt dort hinter dem Fenster hörte, dieser Welt, die von Zeit zu Zeit aus der Mädchenschule herüberdrang und sie seltsame, ihr unverständliche Worte auswendig lernen liess, in ihr auch den Wunsch weckte, jemanden zu finden, der das Feuer in ihrem Herzen kühlen und ihr erklären könnte, was das alles hiess. Sie versuchte wirklich, die Bedeutung dieses Wortes zu erfahren. Sie fragte Hassanain, den Brotverkäufer, was »Flanken« seien. Doch der zwinkerte ihr nur ordinär zu, zog seine Augenbrauen hoch und machtejene Bewegung mit dem Daumen, die sie von den Frauen aus dem Dorf kannte. Daraufhin beschimpfte sie ihn und verfluchte seinen Vater und seine ganze widerliche Ahnenreihe. Aber nach diesem Erlebnis fürchtete sie sich doch, dasselbe bei Fatîch, dem Krämer, zu wiederholen, und hatte schon beschlossen, den Sohn des Herrn Offizier zu fragen, als der Vorfall mit der Quadratwurzel dazwischenkam, der sie überhaupt nicht mehr daran denken liess. Ja, als eines Tages die Herrin sie dabei überraschte, wie sie in den Zwiebeln pulte und forschte und nach dem Schwefelwasserstoff suchte, der nach den Worten der Lehrerin darin enthalten sein sollte, weigerte sich Nûna sogar hartnäckig, ihr, die befremdet fragte, was sie da eigentlich treibe, ihr Tun zu erklären. Sie beschränkte sich darauf, ihr mitzuteilen, sie suche etwas Besonderes in den Zwiebeln. Die Frau des Herrn Offizier sah sich veranlasst, Nûna wegen dieses und zahlreicher anderer Vorfälle als »gestört« zu bezeichnen. Sie lege ein merkwürdiges Verhalten und ein unnatürliches Benehmen an den Tag. Bestätigt fühlte sie sich in dieser Meinung noch ganz besonders, nachdem sie Nûna in der Küche dabei ertappt hatte, wie sie herumhüpfte, ein Bein hochnahm und es nach vorne streckte – genauso hatte sie es die mit langen schwarzen Hosen bekleideten Mädchen auf dem grossen Schulhof machen sehen. Die Herrin hatte das immer von Nûna gesagt und dann – wenn sie bei den Abendkränzchen mit ihren Freundinnen im goldenen Salon zusammensass, von dem Nûna glaubte, dass selbst der Omda ihres Dorfes so etwas noch nie gesehen haben könnte – gleich hinzugefügt, Nûna sei ein echtes Arbeitstier. Sie habe genug Kraft, um einen Berg niederzureissen, obwohl sie doch erst geradedreizehn Jahre alt sei. Nein, sie würde sie, trotz ihrer Gestörtheit, niemals entlassen, besonders, da Dienstpersonal dieser Tage ja recht rar geworden sei und man fast niemanden mehr finde.
    Obwohl Nûna überhaupt keine Freude an dieser Einschätzung hatte und obwohl die Herrin sie einmal ins Gesicht schlug, weil sie ihren Sohn einen Dummkopf genannt hatte, hegte sie keinerlei Hassgefühle gegen die Frau des Herrn Offizier. Sie wusste ja, dass der Herrin bei dem Schlag nur die Hand ausgerutscht war, ebenso wie ihr selbst die freche Bemerkung nur so herausgerutscht war. Der Junge sass da im Salon mit seinem Hauslehrer. Die Mutter hatte den beiden gegenüber Platz genommen und strickte, Kaugummi knallend. Nûna kam mit dem
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