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Die einzige Blume im Sumpf - Geschichten aus Ägypten

Die einzige Blume im Sumpf - Geschichten aus Ägypten

Titel: Die einzige Blume im Sumpf - Geschichten aus Ägypten
Autoren: Lenos Verlag
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hastig über die Strasse. Husnîja richtete sich auf und rief mit lauter Stimme: »Probieren Sie! Schauen Sie! Ihr Glück um einen Schilling!« Mal um Mal wiederholte sie ihren Ruf, immer wieder, viele Male, und als niemand stehenblieb, warf sie der Maus in ihrem Käfig ein Stück trockenes Brot hin. Dann schaute sie, in Erwartung potentieller Kunden, wieder zur Ampel hinauf, während in ihrem Kopf diese Gedanken umherwanderten, die sie seit einigen Tagen beharrlich verfolgten und ihr noch jetzt das Leben vergällten: Stell dir nur vor, Mädchen, Onkel Hassan wird wieder gesund und munter und steht wieder flott auf eigenen Füssen, dann war das alles umsonst. Nimm mal an, er ist bereit, dir dein Arbeitsmaterial zur Verfügung zu stellen, wenn er überzeugt ist, dass du deinen Lebensunterhalt weit weg von der Gegend hier verdienen willst. Das Problem bleibt, und die Sache hat einen Haken, denn fürs Arbeitsmaterial braucht’s Geld, und er will Meister bleiben und sagt, wer zahlt, befiehlt, und du weisst ja, wie knausrig er ist und wie er sich an seinem Geld festkrallt.
    Sie seufzte bekümmert, und sie empfand eine unbändige Wut auf ihren Ehemann, ja, sie stellte sich vor, wenn er in diesem Augenblick vor ihr auftauchte, würde sie den grössten Stein aufheben und nach ihm werfen, um ihm sein Hirn zu zertrümmern und sein Blut zu schlürfen. Schliesslich waran allem Elend, das sie durchmachte, nur er schuld. Er hatte sie wie ein Wakf 2 verlassen, ohne sich von ihr zu scheiden, und er kam auch nicht zu ihr zurück, um ihr die Last des Lebens abzunehmen und ihr das Gefühl zu geben, eine Frau zu sein, die in dieser Welt wie andere Geschöpfe lebt.
    Ihr schien die Welt, wenn sie es recht betrachtete, enger als ein Nadelöhr. Sie liess die Maus in ihrem Käfig auf dem als Tisch dienenden Pappkarton stehen und ging ein paar Schritte zu dem Jungen hinüber, der neben einem Tuch sass, auf dem Schnürsenkel, Streichholzschachteln und Plastikkämme ausgebreitet waren. »Los, komm, Abdalrachmân, lass mich mal ziehen!« verlangte sie mit unterdrücktem Groll.
    Der Junge zog demonstrativ lange an der Zigarette, die ihn als richtigen kleinen Mann erscheinen liess, obwohl er sie zwischen Lippen hielt, über denen sich noch keine Spur eines Schnurrbartes abzeichnete. Er schaute hoch, reichte ihr die Zigarette und liess dabei seinen Blick über die Einzelheiten ihres Körpers unter der Galabija wandern, die im Licht der Morgensonne fast etwas durchsichtig schien. Dann, während er sich mit der Anordnung kleiner Spiegel auf dem Tuch beschäftigte, brummelte er: »Kannst sie behalten und fertigrauchen.«
    Sie zog den Rauch tief in die Lunge, dankte ihm und ging zurück zur Maus, und als sie das Gefühl hatte, sich etwas erholt zu haben, begann sie wieder zu rufen: »Probieren Sie! Schauen Sie! Ihr Glück um einen Schilling!«
    Wenige Augenblicke später, sie wusste nicht mehr, was genau geschah, war es, als ob das Jüngste Gericht hereingebrochen sei. Ein riesiges aschgraues Auto hielt plötzlich vor ihr an, heraus sprangen Soldaten und Offiziere, und gleich darauf flogen Streichholzschachteln und Schuhcremedosen, Metallschlüssel, Plastikschuhe, Nägel und Schnürsenkel durch die Luft. Schläge und Schreie, Laufen und Kreischen vermischten sich. Die Soldaten nahmen in Windeseile den Händlern ihre Sachen weg und warfen alles zusammen auf das riesige aschgraue Auto. Als Husnîja die weisse Maus samt ihrem Käfig mit einer vollständigen Drehung in der Luft im Wageninnern verschwinden sah, war ihr klar, dass es sich um die städtischen Gendarmen handelte. Da schrie sie, so laut sie konnte: »Ich Unglücksweib! Welch Schicksalsschlag, ihr Leute!« und schlug sich an die Brust.
    Wie vom Wahnsinn getrieben, schoss sie auf das Auto zu und versuchte, die Maus zu retten und sie aus dem Auto zurückzuholen. Aber sie erhielt von einer geübten Hand einen Schlag ins Gesicht, der sie schwindlig werden liess. Da begann sie zu fluchen und zu schimpfen, und die Tränen liefen ihr aus den Augen. In einem nochmaligen Versuch, die Maus zurückzuholen, stürzte sie vor und umfasste mit beiden Händen die Hand eines alten Sergeanten, versuchte, ihn aufzuhalten, sagte ihm, die weisse Maus sei ihr anvertraut, sie versorge mit ihr einen alten Mann wie ihn, nur sei jener krank, und: »Gott schenke dir ein langes Leben für deine Kinder, Sergeant, und er bewahre dich vor allem Übel auf deinen Wegen! Gib mir die Maus zurück! Sie ist viel wert, es gibt
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