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Die Ehre der Am'churi (German Edition)

Die Ehre der Am'churi (German Edition)

Titel: Die Ehre der Am'churi (German Edition)
Autoren: Sandra Gernt
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Ich stehe in deiner Schuld, zögere nicht, mich daran zu erinnern. Lass mich jetzt. Kamur wird bald kommen und nach mir sehen. Was dann geschieht, geht dich nichts an.“
    Langsam stand Jivvin auf, von unzähligen Fragen gequält, auf die es einfach keine Antwort gab. Die Einsamkeit dieses vierzehnjährigen, halbverhungerten Kindes drückte ihn nieder. Er war vollkommen allein, umgeben von Feinden, die ihn verletzen, foltern, vergiften und töten wollten. Feinde, die seine Brüder und Lehrer sein sollten. Niemand beschützte ihn, nicht einmal sein eigener Gott. Und er, Jivvin, der als der schlimmste Feind dieses Jungen galt, war der einzige, der darin einen Fehler sah.
    Am’chur, wie kannst du das zulassen? Das ist ehrlos, selbst wenn man es einer solchen Ratte antut!
    Als er wieder in seinem eigenen Zimmer stand, wusste er nicht mehr, was er noch glauben sollte.
    „Plagen dich solche Zweifel, Jivvin?“
    Er fuhr herum, obwohl er bereits wusste, wer ihn angesprochen hatte.

3.
     
    Eine schlanke Gestalt erhob sich von seinem Bett und schritt auf ihn zu. Jivvin war zu verwirrt, um sich noch darüber zu wundern, warum Leruam hier in der Dunkelheit saß und offensichtlich auf ihn wartete.
    „Meister, ich …“
    „Warte, ein wenig Licht wird nicht schaden, was meinst du?“
    Jivvin ließ sich auf eines der Sitzkissen fallen und wartete, bis Leruam zwei Kerzen entzündet und sich zu ihm gesetzt hatte.
    „Ich weiß, was du heute Nacht getan hast, Jivvin, was du gesehen und gehört hast. Du brauchst Weisung, um all dies verstehen zu können.“
    „Ihr – Ihr wisst, dass er vergiftet und beinahe umgebracht wurde?“, stammelte Jivvin entsetzt. Ein Schatten legte sich über das sonst so friedliche, gelassene Gesicht des alten Meisters.
    „Ja, Jivvin, ich weiß es. Ich wusste es, bevor es geschah. Ähnlich wie du habe ich beobachtet, wie Ni’yo das Gift trank. Eigentlich hat er in den letzten Monaten große Fortschritte darin gemacht, solche Fallen im Voraus zu erahnen, und trägt auch immer verschiedene Antidote bei sich. Ich habe ihn gelehrt, den Geruch von fast allen giftigen Pflanzen und Mineralien unterscheiden zu können. Diese Falle war allerdings besonders raffiniert. Pérenn hat einen Novizen angestiftet, eine ganz bestimmte Tasse an Ni’yo auszugeben – das Gift befand sich an den Innenwänden, nicht im Tee selbst. Selbstverständlich haben die beiden darauf geachtet, erst nach ihm in den Speisesaal zu kommen, damit er sich wirklich sicher war, in Frieden essen zu können.“
    „Und er konnte kein Gegengift mehr nehmen?“
    „Nein. Er wusste wahrscheinlich sofort, dass er dafür kein passendes Mittel zur Hand hatte, er zeigt seine Niederlage gewöhnlich nicht so deutlich.“ Leruam nickte ihm lächelnd zu.
    „Ich habe beobachtet, wie du die Täter erkannt und nacheinander die richtigen Schlüsse gezogen hast, Jivvin, ich bin sehr zufrieden!“
    „Meister, es ist doch kein Spiel!“, begehrte er auf, doch der Tempelvorsteher brachte ihn mit einer knappen Geste zum Schweigen.
    „Nein. Wenn es ein Spiel wäre, hätte ich es bereits vor Jahren beendet. Es ist tödlicher Ernst, für Ni’yo und uns alle.“
    Für einen Moment lang wirkte der Meister so uralt, wie er es tatsächlich war. Dann lächelte er wieder, und der Eindruck von Schwäche verschwand, als hätte es ihn nie gegeben.
    „Weißt du, wie die Götter ihre sterblichen Diener auswählen?“, fragte er. Jivvin schüttelte den Kopf.
    „Sie beobachten uns, von Geburt an. Jene, die besondere Fähigkeiten haben – seien sie angeboren oder später erworben – beobachten sie besonders scharf. Sie geben uns diese Fähigkeiten nicht mit ins Leben. Es ist Zufall, sowie das Erbe unserer Vorfahren, wenn wir stark, klug oder geschickt sind, ein Talent für Malerei oder eine Vorliebe für Schmetterlinge haben. Im Laufe der Kindheit und Jugend formt uns das Leben. Ein Sohn von Holzfällern wird stark werden und viel über den Wald lernen. Wenn er dazu mit Schnelligkeit, scharfem Verstand und geschickten Händen geboren wurde, wird sich neben Am’chur auch Muria, die Jagdgöttin, für ihn interessieren. Wenn er eine flinke Zunge hat und Menschen überzeugen kann, mutig und listig ist, mag sich Balur, der Gott der Händler, für ihn begeistern.
    All dies entwickelt sich im Laufe der Zeit. Verstehst du?“
    „Natürlich, Meister. Aber was hat das mit Ni’yo zu tun?“
    „Nun, manchmal werden Kinder geboren, die ganz besonders reich mit vielfältigen
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