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Die Ehre der Am'churi (German Edition)

Die Ehre der Am'churi (German Edition)

Titel: Die Ehre der Am'churi (German Edition)
Autoren: Sandra Gernt
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holen.
    „Das verzeihe ich dir nie, du Ratte!“, zischte Jivvin zornig. „Niemals, hörst du!“
    „Ich hatte ihm gesagt, er soll mich lassen“, flüsterte Ni’yo. Langsam wich die Anspannung in seinem winzigen Körper. Aus den Drachenkrallen wurden wieder menschliche Finger, die er verwirrt betrachtete.
    „Er hat dich ein bisschen geschubst, und du schlägst ihn dafür halb tot! Es ist verboten, sich einfach zu verwandeln. Du bist eine Ratte, eine feige Ratte! Und Ratten gehören erschlagen!“
    „Was ist hier los?“ Tamu und Leruam, die beiden Vorsteher des Tempels, betraten den Raum. Sie blickten von dem blutüberströmten Kind auf dem Boden zu den beiden vor Zorn sprühenden Jungen, die über Pitu standen.
    „Auseinander, ihr beiden!“ Leruam ergriff Ni’yo bei der Schulter, zog ihn hinter sich.
    „Es sieht so aus, als hätten wir uns geirrt, dich in dieses Zimmer zu schicken. Jivvin, geh zum Abendessen, es hat längst geläutet. Tamu, kümmere dich um den Jungen, ich denke, seine Nase ist gebrochen. Und Ni’yo, du kommst mit mir.“
    „Ich krieg dich“, zischte Jivvin hasserfüllt, bevor er den Raum verließ.
    „Was hast du vor?“, fragte Tamu in der geheimen Sprache der Am’churi, damit die beiden verbliebenen Kinder ihn nicht verstehen konnten.
    „Er bekommt einen Raum für sich, getrennt von den anderen“, seufzte Leruam. „Es sieht nicht so aus, als würde er den Zorn in sich kontrollieren. Am’chur hatte mich davor gewarnt. Ni’yo ist einfach noch sehr jung. Ich hatte gehofft, Jivvin würde sich mit ihm anfreunden, er ist schließlich auch jünger als die anderen und sehr begabt.“ Der alte Großmeister dachte an das, was vor wenigen Stunden geschehen war: Der schwer verwundete Junge, fast noch ein Kleinkind, hatte sich ganz allein durch das Tempeltor geschleppt, auf der Flucht vor jenen, denen er nur mit knapper Not entkommen war. Am’chur hatte Ni’yo geheilt und Leruam verboten, die Wahrheit über dieses Kind nach außen dringen zu lassen.
    „ER IST MEIN, LERUAM, MEIN EIGENTUM. VERSTEHE, WAS ER IST – UND FÜRCHTE IHN. JEDER WIRD IHN FÜRCHTEN. LEHRE IHN, EIN AM’CHURI ZU SEIN. ER IST ALLEIN MEIN!“
    Die riesige Statue des Drachengottes war zum Leben erwacht, hatte seinem Diener das Wissen geschenkt, das er brauchte, um diese Last zu meistern. Leruam wusste, er würde schwer an ihr tragen. Nun galt es aber erst einmal, Ni’yos unmittelbares Überleben zu sichern, und dafür musste er ihn außer Reichweite der anderen Jungen schaffen.
    „Aber wenn wir ihn isolieren, wird es für die anderen noch schwerer, ihn als einen der ihren anzunehmen“, warnte Tamu besorgt.
    „Verstehst du nicht? Es geht nicht darum, Ni’yo in unsere Gemeinschaft aufzunehmen. Wir müssen ihn auch nicht vor den Übergriffen der anderen beschützen, die in ihm ein ideales Opfer sehen, klein und schmächtig, wie er ist. Wir müssen die anderen vor ihm beschützen. Die anderen Am’churi. Die ganze Welt. Ni’yo ist gefährlich! Er muss lernen, sich zu beherrschen, sonst wird es bald Tote geben. Wir müssen ihn vor sich selbst beschützen.“
Besorgt blickte Tamu auf Pitu nieder, der mittlerweile schwankend auf die Beine gekommen war.
    „Meister, ich will den nicht hier haben“, brachte er mühsam hervor, starrte entsetzt auf das viele Blut, das seine weiße Robe tränkte.
    Ni’yo senkte den Kopf, wich allen Blicken aus.
    „Komm mit mir“, sagte Leruam sanft, und führte den Jungen durch die Tür.
    Oh ja, es würden schwierige Zeiten werden, daran bestand kein Zweifel …

Einige Jahre später …
     
    2.
     
    Jivvin stöhnte innerlich, als sein Feind den Speiseraum betrat. Alle Tische waren bereits besetzt, also musste sich Ni’yo zu ihm setzen. Sieben Jahre waren seit ihrer ersten Begegnung vergangen; seitdem hatte ihr Hass sich vertieft. Alle Bewohner dieses Tempels hassten und fürchteten das Rattengesicht, selbst die ausbildenden Meister. Kaum einer wagte allerdings, den Jungen offen anzugreifen, dazu war er schlicht zu gefährlich. Anfangs hatten die älteren Schüler noch gelacht, wenn sie gegen Ni’yo im Stockkampf oder A’Kure-cham, der waffenlosen Kampfkunst, antreten sollten, auch wenn sie gehört hatten, was mit Pitu geschehen war. Der Junge war kaum halb so groß wie sie, zudem ein Neuling, während sie teilweise schon seit Jahren ausgebildet wurden. Nachdem Ni’yo die ersten Gegner binnen weniger Herzschläge niedergerungen hatte, lachte niemand mehr. Jeder wusste, reizte man
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