Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Ehre der Am'churi (German Edition)

Die Ehre der Am'churi (German Edition)

Titel: Die Ehre der Am'churi (German Edition)
Autoren: Sandra Gernt
Vom Netzwerk:
Ni’yo zu sehr, weil man glaubte, er wäre leichte Beute, konnte das üble Folgen haben, selbst für Adepten, die mehr als doppelt so alt waren wie er. Er bewegte sich mit einer Schnelligkeit, die seinen Mangel an Kraft und Reichweite mehr als ausglich. Bei Waffenübungen wollte niemand mit ihm kämpfen, er saß oft gelangweilt am Rand oder versuchte es allein. In den Schreibstunden musste er weit abseits sitzen. Aber Leruam hielt seine Hand über ihn, Ni’yo wurde selten bestraft, wenn seine Wut durchbrach, sondern meist diejenigen, die ihn provoziert hatten. Das mochte gerecht sein, aber es schürte den Hass und die Ablehnung der anderen noch mehr. Wenn man ehrlich war, hatte es seit Jahren keine Ausbrüche Ni’yos mehr gegeben, er beherrschte sich. Er verwandelte sich nicht mehr unwillkürlich und war somit keine tödliche Gefahr mehr für alle anderen. Dennoch wollte niemand etwas mit ihm zu tun haben, und die wenigen, die es aus Mitleid oder Neugier versuchten, wurden von dem Jungen rasch weggejagt. Er war misstrauisch, hielt sich von der Gemeinschaft fern.
    Jivvin erging es zu Teilen ähnlich. Auch er war stärker, lernte schneller als seine gleichaltrigen Waffenbrüder. Tatsächlich war er der einzige, der Ni’yos Fortschritten zumindest auf den meisten Gebieten folgen konnte. Glücklicherweise hasste ihn niemand dafür. Zwar gab es Neider, er hatte neben Ni’yo noch weitere Feinde, vor allem unter den älteren Adepten. Zumeist aber begegnete man ihm freundlich und bat eher um Hilfe als ihn auszuschließen. Ni’yo und er hatten gemeinsam die Prüfung zum Adepten abgelegt, kaum ein Jahr, nachdem sie in den Tempel gekommen waren. Die Rivalität zwischen ihnen hatte die Feindschaft, geboren aus der ersten Begegnung, nur noch weiter genährt. Sie waren mit großem Abstand die jüngsten und erfolgreichsten Schüler, die jemals an diesem Ort aufgenommen worden waren – was Jivvin einige Freunde gekostet hatte, denn die waren alle Novizen geblieben und fanden den Anschluss nicht mehr zu ihm, als sie selbst Adepten wurden.
     
    Das Rattengesicht saß am Ende des Tisches, mehrere Plätze von Jivvin entfernt, nahm sich Geschirr von einem Tablett, das von einem Novizen herumgereicht wurde und füllte sich dann Tee aus dem Krug, der für alle bereitstand. Zwei Adepten setzten sich Jivvin gegenüber, Perénn und Kamur. Sie grüßten sich flüchtig. Eine Weile lang widmete er sich ganz seinem Essen und versuchte, den Blick auf seinen Feind zu vermeiden, um sich nicht grundlos den Appetit zu verderben. Doch er konnte es nicht, unweigerlich musste er wieder zu ihm hinüber sehen. Wie sehr er diese Ratte hasste! Eines Tages würde er ihn zerquetschen!        
    Plötzlich erstarrte Ni’yo. Ganz langsam setzte er die Tasse ab, als fürchtete er, sie zu zerbrechen. Der Ausdruck von Angst und fassungslosem Entsetzen flackerte kurz über sein Gesicht, dann verschwand es, als wäre nie etwas geschehen. Obwohl er fast nichts gegessen hatte, stand Ni’yo auf, brachte sein Geschirr fort und verließ den Speisesaal.
    Jivvin hätte diesen Vorfall als nebensächlich abgetan, vielleicht sogar als Einbildung. Ni’yo benahm sich oft seltsam, und es war nicht ungewöhnlich, dass er wenig bis gar nichts aß. Doch Perénn und Kamur beobachteten aufmerksam, wie der Junge hinausging. Sie verabscheuten Ni’yo, wie fast jeder hier. Was Jivvin in ihren Augen las, war allerdings kein Hass, sondern Triumph. Nachdenklich blickte er sich um. Niemand sonst sah hinter Ni’yo her oder schien irgendetwas ungewöhnlich zu empfinden. Alle aßen, unterhielten sich, lachten und scherzten. Pérenn und Kamur verließen ebenfalls den Saal, ein bisschen eiliger als sonst üblich, zudem hatten sie noch nicht einmal Tee getrunken, geschweige denn das Essen angerührt.
    Bei Am’churs Weisheit, was bedeutet das? Hastig beendete Jivvin sein Mahl, ohne etwas zu schmecken.
    Für gewöhnlich verbrachte Jivvin seine Abende damit, zu lernen, einige schwierige Kampf- oder Waffentechniken zu üben oder sich auf den Moment vorzubereiten, an dem er beginnen durfte, sein eigenes Chi’a zu schmieden. Es dauerte rund zwei Jahre, diese Waffe anzufertigen, die Am’churs Krallen nachempfunden war, und nur, wenn seine Großmeister einstimmig bestätigten, dass er an Geist und Körper ausreichend gereift war, durfte er diese Aufgabe beginnen. Sein Chi’a würde ihn als wahren Am’churi ausweisen, als Meister der Kriegs- und Waffenkunst. Eine solche Waffe war
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher