Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die dunklen Farben der Begierde (German Edition)

Die dunklen Farben der Begierde (German Edition)

Titel: Die dunklen Farben der Begierde (German Edition)
Autoren: Kristina Lloyd
Vom Netzwerk:
nach der letzten Mahlzeit nicht abgeräumt worden.
    Waren hier alle tot? Zwar kam ihre Rückkehr unerwartet, aber das war doch keine Entschuldigung für einen solchen Dreck. Sie stürmte die Treppen hinauf. Das konnte nicht bis zum Morgen warten. Was, zum Teufel, dachte Hester Carr sich dabei, solche unwürdigen Zustände hier einkehren zu lassen? Und wenn die alte Jungfer es nicht geschafft hatte, den Laden zu schmeißen, warum hatte Clarissa diese Aufgabe dann nicht übernommen? An der Tür der alten Schachtel angekommen, drehte sie leise den Türknauf und glitt ins Zimmer.
    Alicia schnappte nach Luft, als das trübe Licht der Öllampe auf das Bett fiel. Dort sah sie drei Menschen: Hester Carr, den Kammerdiener und Clarissas Zofe, mit ineinander verschlungenen Gliedmaßen, alle im selben Rhythmus eines tiefen, zufriedenen Schlafes atmend.
    Man hörte zunächst keinen Ton, als Alicia versuchte, etwas zu sagen, dann schrie sie, außer sich vor Wut: «Was, zum Teufel, geht hier vor? Wacht auf! Wacht sofort auf!»
    Die Körper regten sich und gähnten. Sie setzte die Lampe ab und schüttelte Miss Carr ungehalten. Die Augen der Frau öffneten sich langsam, und sie zog verwirrt die Stirn in Falten. Dann lächelte sie, und ihre dürren Hängebäckchen bewegten sich ein Stück aufwärts.
    «Oh, ihr seid wieder zu Hause», murmelte sie, strich über ihr langes grau werdendes Haar und sah Alicia mit glückseliger Verklärung im Blick an.
    «Gütiger Himmel», schnauzte Alicia. «Du nimmst wieder Laudanum! Pascale! Ellis! Erklärt euch! Was ist hier los?»
    Die Französin kam als Erste zu sich und bemühte sich, ein Bettlaken an sich zu ziehen, um ihre Blöße zu bedecken. Ellis fluchte.
    «Ich hatte euch gebeten, sie zu beschäftigen», zischte Alicia, dicht an seinem Gesicht. «Ich habe euch nicht gebeten, das Haus verfallen zu lassen, während ihr dieser anspruchsvollen Tätigkeit nachgeht.»
    Unten aus der Halle rief Charles selbstmitleidig nach ihr.
    «Zieht euch an», befahl Alicia. «Dann seht zu, dass ihr unsere Zimmer in Ordnung bringt, während ich ihn irgendwie ablenke.»
    Die beiden Dienstboten zogen träge ihre Kleider an, und Alicia rief etwas nach unten zu Charles, versicherte ihm, sie werde im Nu bei ihm sein.
    «Wo ist Clarissa?», verlangte sie von den dreien zu erfahren. «Ich kann nicht glauben, dass sie freiwillig in so einem Schweinestall gehaust hat.»
    Pascale lächelte, ungeheuer triumphierend. «Ich habe meine Aufgabe so gut erfüllt, dass sie die Hochzeitsnacht gar nicht erwarten konnte. Sie ist ausgezogen, um mit Lord Marldon zu leben.»
    Alicia sah sie zweifelnd an. Sie konnte das nicht ganz glauben, aber immerhin schienen die Longleighs einen Sinn für merkwürdiges Benehmen zu haben. Und Clarissas Abwesenheit wäre immerhin eine Erklärung für dieses Chaos.
    «Hmm», sagte sie. «Immerhin eine gute Nachricht aus diesem Durcheinander. Und jetzt seht zu, dass ihr euch wieder wie Dienstboten betragt.»
    Und wenn das alles vorbei ist, werde ich euch feuern, dachte sie und scheuchte sie aus dem Zimmer.

    Der Tag brach gerade an, und Green Park erstreckte sich in violettem Licht. Hand in Hand liefen Clarissa und Gabriel über die taufeuchten, noch grauen Wiesen.
    Niemand hatte sie gehen sehen, niemand außer Kitty. Die hatte für Clarissa noch irgendwo Kleider gefunden und sie durch eine Szenerie von dekadenter Prasserei und die zusammengesunkenen Körper von betrunkenen Dienstboten nach draußen geführt. Lord Marldon, so hatte sie ihnen erzählt, sei immer noch vollkommen bewusstlos, und Lucy und Julian hatten sich glückselig schlummernd in einem Waschraum angefunden. Es schien, als hätten Clarissas Freunde sie nicht verraten, wie sie gedacht hatte. Sie hatten versucht, ihr zu helfen; sie waren ihr treu geblieben.
    Als sich die beiden Liebenden Constitution Hill näherten, verlangsamten sie ihr Tempo. Sie waren außer Atem. Clarissa sah zurück auf die sanfte, nur von Schatten belebte Landschaft. In dem unheimlichen phosphoreszierenden Licht sah alles still und ernst aus, und Clarissa fühlte sich, als seien sie die beiden ersten Menschen, die jemals auf dieser Erde gewandelt waren. Sie blickte auf Asham zurück; nur ein kleines Stückchen der Ziegel konnte man über die Baumwipfel hinweg sehen.
    «Tu es nicht», sagte Gabriel, berührte ihre Wange und drehte ihren Kopf zu sich um.
    Das Zwielicht des frühen Morgens gab ihm ein unwirkliches Aussehen, machte sein Gesicht blasser, sein Haar und
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher