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Die dunkle Seite der Dinge

Die dunkle Seite der Dinge

Titel: Die dunkle Seite der Dinge
Autoren: Regina Reitz
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hingegen riefen gemischte Gefühle in ihm hervor.
Die Bauten aus Glas, Stahl und Beton glichen modernen Dinosauriern
einer neuen Zeit.
    Laute Stimmen lenkten seine
Aufmerksamkeit auf eine Gruppe Schaulustiger, die begeistert das
Geschehen kommentierte. „Die Gaffer sind immer zuerst da“,
dachte er und umgehend wurde seine Laune noch ein wenig schlechter,
als er sah, dass einer von ihnen einen Campingstuhl aufgestellt hatte
und sich mit einer Decke gemütlich darin nieder ließ. Dann
erspähte er abseits einen hünenhaften Mann, dessen dichtes,
weißes Haar schwungvoll in alle Himmelsrichtungen davon
strebte. Umgehend hob sich seine Laune wieder. Im nächsten
Augenblick drehte sich der eindrucksvolle Löwenkopf in seine
Richtung und winkte ihn zu sich herüber. „Hallo Carsten,
wird auch Zeit, dass du kommst.“
    „ Gib Thorsten einfach einen
Hubschrauber und wir sind beim nächsten Mal schneller da.“
Der Kommissar reichte dem Rechtsmediziner Wolfgang Hagen die Hand.
    „ Du hättest dir besser
ein paar Gummistiefel eingepackt“, bemerkte dieser mit einem
Blick auf die ruinierten Schuhe des Kommissars. „Wenn wir hier
fertig sind, kannst du die in die Tonne werfen.“
    Wellinger zuckte mit den
Schultern. „Kannst du mir schon etwas sagen?“
    „ Ja, aber wie immer wird es
dir nicht reichen und du wirst mich mit Fragen löchern. Ich muss
den Leichnam erst mal auf dem Tisch haben. Komm mit, ich zeig ihn
dir.“
    Hagen wandte sich ab und strebte
dem Ufersaum zu. Wellingers Herz pochte schneller. Jetzt kam der
schwierigste Teil seiner Arbeit, denn dies war der Moment, den er am
meisten fürchtete und der doch so notwendig war, wenn er einen
Fall begreifen und lösen wollte. Immer wieder packte ihn
heftiges Mitleid, wenn er in die Gesichter derjenigen sah, die
gewaltsam aus dem Leben gerissen worden waren. Zugleich wohnte dieser
ersten Begegnung eine machtvolle Magie inne, denn Wellinger gab den
Toten ein stummes Versprechen. Er würde sein Bestes geben, um
die Wahrheit zu finden.
    „ Mach dich auf etwas
gefasst“, murmelte Hagen.
    Wellinger verlangsamte seinen
ohnehin schon zögerlichen Schritt. Alle Kollegen im Präsidium
waren sich darin einig, dass Wasserleichen zu dem Schlimmsten
gehörten, das man vorfinden konnte. Wenn Wolfgang dennoch eine
Warnung für notwendig hielt, musste es besonders schlimm sein.
Mit steifen Schritten stapfte er hinter dem Rechtsmediziner her.
    „ Achtung, mach da einen
Bogen herum“, wies dieser ihn auf etwas hin, das zwischen den
Steinen und dem angespülten Müll leicht zu übersehen
war. Angewidert verzog Wellinger sein Gesicht. Sein Magen hüpfte,
als wäre er an einem losen Gummiband befestigt. Zwischen leeren
Plastikschachteln, zerbeulten Getränkedosen und aufgerollten
Kondomen hatte sich jemand seines Mittagessens entledigt.
    „ Ein junger Student hat die
Leiche entdeckt. Der arme Kerl ist immer noch ganz grün im
Gesicht.“ Die saloppen Worte entbehrten jeglicher Häme. In
all den Jahren seiner ernüchternden Tätigkeit hatte sich
Hagen die Fähigkeit bewahrt, Anteil am Schicksal seiner
Mitmenschen zu nehmen.
    Wellinger hatte dies gleich zu
Beginn ihrer Zusammenarbeit bemerkt. Er war gerade erst ins
Kommissariat versetzt worden, als er auf Hagen traf, der vor einer
Gruppe Medizinstudenten eine Vorlesung hielt. Mitten in seinem
Gastvortrag über die Aufgabengebiete der forensischen
Entomologie sprach einer der Studenten den Rechtsmediziner auf seine
Namensverwandtschaft mit dem Plastinator Gunther von Hagens an, der
mit seiner Ausstellung Körperwelten auf dem Kölner Heumarkt Halt gemacht hatte.
    „ Mit diesem Menschen habe
ich nichts gemein und ich möchte nicht mit ihm in Zusammenhang
gebracht werden!“
    Die Aussage des Rechtsmediziners
war unmissverständlich gewesen, doch der Student hatte eine
vollkommen andere Ansicht vertreten.
    „ Aber warum denn nicht?“,
hielt der junge Schnösel unbelehrbar an seiner Meinung fest.
„Sie tragen nicht nur beinahe denselben Familiennamen, sondern
sie beide sezieren und präparieren Leichen, um Erkenntnisse zu
gewinnen, die für die Wissenschaft und für die Medizin von
erheblicher Bedeutung sind.“
    Wolfgang Hagen war sprachlos
gewesen. Der Moment war jedoch schnell vorüber gegangen. Dann
hatte er seiner Empörung lauthals Luft gemacht. „Gunther
von Hagens Tun entbehrt jeglicher wissenschaftlicher Sachlichkeit“,
tobte er. „Die Methode der Plastinierung, die er entwickelt hat
und die er an den Leichen
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