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Die dunkle Seite der Dinge

Die dunkle Seite der Dinge

Titel: Die dunkle Seite der Dinge
Autoren: Regina Reitz
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betrachten. Vor zwei Tagen war das kleine Mädchen
mit einem neuen Flüchtlingsstrom im Lager erschienen, vollkommen
erschöpft, der Kopf riesig, die Wangen eingefallenen, mehr einer
gebrechlichen Greisin ähnelnd als einem Menschen, der am Anfang
seines Lebens stand. Niemand kannte das Mädchen, das kaum älter
als vier Jahre sein mochte. Völlig auf sich allein gestellt,
ohne Eltern oder einer helfenden Hand, hatten die Augen von der Qual
erzählt, die es durchlebt haben musste und auch, wenn täglich
neue Tragödien an Jans Ohr drangen, hatte der stumme Blick des
Kindes sein Herz berührt. Schon bei den ersten Untersuchungen
hatte er erkannt, dass eine Aufnahme in die Krankenstation
unausweichlich war und binnen weniger Stunden wurde sein Verdacht
bestätigt. Die Malaria hatte den kleinen Körper schon
längst in ihrer Gewalt. Die Pfleger hatten alles getan, um das
hohe Fieber zu senken und den entsetzlichen Krämpfen
entgegenzuwirken.
    Jan begab sich in die Hocke. Das
ausgemergelte Gesicht verschwand in den Decken und er musste
erkennen, dass sie den Kampf verloren hatten. Eine Welle der Trauer
überschwemmte ihn, drohte ihn zu lähmen. Leise Schritte
näherten sich und erst, als sich eine Hand auf seine Schulter
legte, sah er auf. Die Hand strich durch sein Haar. Eine flüchtige
Geste, doch zugleich voller Trost und Zärtlichkeit. Kurz darauf
entfernten sich die Schritte so leise, wie sie gekommen waren.
    Jan betrachtete das kleine
Gesicht. Noch an diesem Tag mussten die Helfer eine größere
Grube ausheben und selbst, wenn diese Maßnahme seinen
Vorstellungen widerstrebte, wusste er die Lage richtig einzuschätzen.
Keiner von ihnen besaß mehr die Kraft, einzelne Gräber
herzurichten. Ihre restlichen Reserven würden sie für die
Lebenden benötigen.
    Die Zeltplane wurde erneut
auseinander geschoben und zwei Männer näherten sich dem
Totenlager.
    „ Bringt sie zu den anderen,
aber geht behutsam mit ihr um“, sagte er erschöpft und
versuchte verzweifelt gegen die Demütigung anzukämpfen,
dass der Tod ihn ein weiteres Mal überlistet hatte.

    Mühsam zwängte sich
Wellinger aus dem Polizeiauto. Er fluchte leise vor sich hin, als
seine Füße in einer Pfütze landeten. Das brackige
Wasser schwappte ungehindert über den Rand seiner Schuhe. Jeder
seiner Schritte wurde nun von schmatzenden Geräuschen begleitet.
    Wie er dieses Wetter hasste! Auf
einen Winter, der die Stadt in Matsch und Chaos gestürzt hatte,
war ein eisiger Frühling gefolgt, der nun von einem lausigen
Sommer abgelöst wurde. Blass und ausgelaugt schleppten sich die
Menschen durch die Stadt und lechzten nach den wenigen
Sonnenstrahlen, die ihren Weg durch die Wolkendecke fanden. Wellinger
bildete da keine Ausnahme. Wie eine bleierne Weste legte sich die
Müdigkeit um seinen Körper und nur widerwillig löste
er sich von der Vorstellung, bald in seinem Lieblingssessel versinken
zu können. An einen frühen Feierabend war nicht mehr zu
denken. Erst recht nicht, wenn eine Leiche der Meinung war, diesem
kühnen Vorhaben einen Strich durch die Rechnung machen zu
müssen.
    Ihm war übel. Thorsten hatte
mal wieder eine Show abgezogen und alle anderen Autofahrer
beschimpft. Es stimmte schon, bei Regen oder Schnee war es um die
Fahrkünste der Kölner schlecht bestellt. Dann brach der
Verkehr regelrecht zusammen und die Pöbeleien nahmen
überproportional zu. Trotzdem fand Wellinger es lächerlich,
sich den Weg mit Martinshorn und Blaulicht zu erzwingen. Schließlich
würde sich eine Leiche wohl kaum aus dem Staub machen, wenn die
Kommissare fünf Minuten später am Fundort erscheinen
würden. Trotz der zur Schau gestellten Dringlichkeit hatte
Thorsten Zeit gefunden, die Fahrt kurz zu unterbrechen, um an einem
Kiosk zu halten. Ohne seine geliebten Gummibärchen, die er
ständig in sich hinein stopfte, war er noch weniger zu genießen.
    Missmutig stapfte Wellinger vom
Einsatzwagen fort, während Thorsten seelenruhig im Auto sitzen
blieb und die süßen Bärchen in sich hinein warf.
    Als der Kommissar auf die
Absperrung der Streifenbeamten zuhielt, stellte er den Kragen seiner
Jacke hoch. So nahe am Wasser frischte der Wind empfindlich auf. Er
sah sich um. Wie immer, wenn er im rechtsrheinischen Köln
unterwegs war, wurde sein Blick auf die gegenüberliegende
Uferseite gelenkt. Stolz erhob sich der schwarze Dom an der
Promenade. Ein Anblick, der Wellinger wärmte und den er stets
mit Heimat verband. Die in den vergangenen Jahren errichteten
Kranhäuser
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