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Die Dunkle Erinnerung

Die Dunkle Erinnerung

Titel: Die Dunkle Erinnerung
Autoren: Patricia Lewin
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tragen.«
    »Erin gefällt mein Bild, Marta.« Janie hatte wieder einen Buntstift zur Hand genommen und fügte ihrer Zeichnung nun einige wuchernde Blumen an der Hausecke hinzu.
    »Natürlich, Liebes«, antwortete Marta und verschwand im Keller.
    »Deine Blumen sehen ein wenig traurig aus«, meinte Erin.
    »Weil sie wissen, dass der Sommer vorbei ist und dass es bald kalt wird.«
    »Sehnst du dich immer noch nach Florida zurück, Kleines?« Erin versuchte, nicht zu mitleidig zu klingen. »Denk daran, nächste Woche, wenn ihr freihabt, fährst du mit Marta hin.«
    »Ja, ich weiß.« Janie wandte sich wieder ihrer Zeichnung zu. »Grandma fehlt mir. Aber hier ist es auch schön. Ich will wissen, wie es aussieht, wenn die Blätter eine andere Farbe kriegen.«
    »Bist du denn nicht aufgeregt wegen der Reise?« Keine von ihnen war seit dem Umzug nach Norden in Miami gewesen, doch da eine zweitägige Lehrerkonferenz anstand, hatte Marta sich gesagt, dass es eine günstige Gelegenheit sei, mit Janie die alte Heimat zu besuchen.
    Janie zuckte die Achseln.
    Erin fuhr mit den Fingern durch die glänzenden Locken ihrer Nichte und überlegte, ob sie noch mehr sagen und weitere Fragen stellen sollte. Janie hatte mehr Aufruhr erlebt, als gut für sie war. Ihren Vater hatte sie nie kennen gelernt, und Claire … nun, ihr war es nie gut genug gegangen, als dass sie die Mutterrolle hätte übernehmen können. Das war anderen überlassen geblieben: Janies Großmutter und Marta.
    Janie ließ äußerlich nichts erkennen, doch Erin wusste aus eigener Erfahrung, wie tief man einen Schmerz in sich verbergen konnte. Deshalb machte sie sich große Sorgen. Tat sie genug? Konnte sie die Lücke ausfüllen, die zwei andere Frauen im Leben dieses Kindes hinterlassen hatten?
    »Gehen wir heute Pizza essen?«, erkundigte sich Janie, die offensichtlich nichts von den Sorgen ihrer Tante mitbekommen hatte.
    Erin lächelte sie an. »Hab's doch versprochen, oder?«
    »Ja.« Janie bewegte den Arm wie einen Pumpenschwengel auf und ab – eine Angewohnheit, die sie einer ihrer neuen Mitschülerinnen abgeschaut hatte. »Toll! Wir gehen Pizza essen!«
    »Aber lass deiner Tante ein paar Minuten Zeit zum Atemholen«, sagte Marta, die wieder aus dem Keller auftauchte. »Sie ist eben erst von der Arbeit gekommen.«
    Erin grinste Janie an und verdrehte die Augen. Janie kicherte.
    Marta achtete nicht auf ihre Possen. »Hast du dein Bild fertig gemalt, Kleines?«
    »Fast«, erwiderte Janie, nahm einen Buntstift und malte ein paar gelbe Punkte in die Bäume. »Guck mal, auch die Bäume wissen, dass es Winter wird.«
    Erin lachte über die erste gestalterische Freiheit, die ihre Nichte sich mit dem Bild erlaubte. Sicher, die Blätter würden gelb werden, doch erst in einigen Wochen, Mitte bis Ende Oktober.
    »Sehr schön«, meinte Marta, »aber leg es jetzt weg. Du musst dich erst waschen, bevor du rausgehst.«
    Janie zog einen Schmollmund und wollte etwas erwidern, doch Erin schüttelte den Kopf. »Tu, was Tante Marta sagt, Liebes. Wir wollen doch in die Pizzeria. Dein Bild kannst du später fertig malen – oder erst morgen.«
    »Okay.« Bedächtig räumte Janie ihre Buntstifte weg und schob die Zeichnung in den Block. »Kann ich sie wenigstens hier unten lassen, damit ich weitermalen kann, wenn wir wiederkommen?«
    »Klar«, sagte Erin, wobei sie die Regeln ein wenig großzügiger auslegte. Sie beugte sich vor und gab ihrer Nichte einen Kuss aufs blonde Haar. »Jetzt beeil dich, ich hab Hunger.«
    Janie flitzte aus der Küche und stürmte polternd die Treppe hinauf.
    »Renn nicht so!«, rief Marta. Eine fruchtlose Ermahnung, denn auch die Treppen gefielen der Siebenjährigen an dem neuen Haus. Man konnte dort so schön klettern, konnte hinauf- und hinunterrennen – von einer langsamen Gangart schien Janie nichts zu halten.
    »Was für eine Energie«, bemerkte Erin, als Janie außer Hörweite war. »Manchmal frage ich mich, wie ich mit ihr mithalten soll.«
    »Du schaffst das schon.« Marta räumte die Reste von Janies Mittagessen weg. »Du hast immer alles geschafft.«
    »Ja, stimmt«, Erin ließ sich auf einen der Küchenhocker fallen, »bevor eine Siebenjährige in mein Leben kam.«
    In Wahrheit hätte Erin nicht gewusst, wie sie ohne Martas Hilfe zurechtgekommen wäre. Die ältere Frau sorgte für Beständigkeit und Normalität in Janies Leben; allein hätte Erin das nicht zustande gebracht. Zwar musste sie sich für ihre derzeitige Aufgabe bei der CIA
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