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Die Dunkle Erinnerung

Die Dunkle Erinnerung

Titel: Die Dunkle Erinnerung
Autoren: Patricia Lewin
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streng. Jeder dieser jungen Leute war ein geborener Sieger.
    »Es ist wie beim Schach«, meldete Bill sich zu Wort. »Ihr kämpft ebenso mit dem Kopf wie …«
    »Es ist mehr als eine Schachpartie«, unterbrach Erin ihn verärgert. Die jungen Leute mussten begreifen, dass es eben kein Spiel war. »Es geht darum, wer von Ihnen bereit ist, sich voll und ganz einzusetzen – mit allem, was er hat.« Demonstrativ schaute sie auf den jungen Muskelprotz, den sie zu Fall gebracht hatte. »Und man muss bereit sein, auch gemeine und rücksichtslose Tricks einzusetzen.«
    Einen Augenblick herrschte Schweigen.
    »Okay, danke, Erin«, beendete Bill die Trainingsstunde. »Das nächste Mal tut ihr euch mit einem Partner zusammen. – Chad, ich möchte, dass du gegen Sheila antrittst. Mir steht's bis hier mit euch beiden, also macht es unter euch aus.« Fast wie einen Nachgedanken fügte er hinzu: »Aber mach ihn nicht alle, Sheila. Den Papierkram für tote CTs zu erledigen ist eine lausige Arbeit.«
    Erin machte sich auf den Weg zu den Umkleideräumen. Wie nach jeder Trainingsstunde fragte sie sich, ob es Auswirkungen auf die Rekruten hatte, was sie sagte oder tat. Würden die jungen Leute das Training ernster nehmen und die Gefahren ihres Jobs besser verstehen? Hatte sie selber während ihrer Ausbildung zugehört? Vermutlich nicht. Erst wenn man in den Einsatz geschickt wurde, holte einen die Realität ein.
    Bill folgte Erin.
    »Früher oder später wird einer deiner Gorillas den Fußboden mit mir aufwischen«, sagte Erin.
    »Das kommt mir irgendwie bekannt vor.«
    Erin grinste und warf ihm einen Seitenblick zu. Sie führten dieses Gespräch nicht zum ersten Mal. »Das war ein Unfall.«
    »Das sagst du jedes Mal.«
    Vor vier Jahren hatte Erin selbst als CIA-Rekrut an Bills Kurs teilgenommen. Damals war er ebenso ihr Opfer geworden wie vorhin der junge Muskelprotz. Das wäre nie geschehen, hätte Bill sich die Zeit genommen, Erins Studentenakte zu lesen, in der auch ihr jahrelanges Kampfsporttraining vermerkt war. Doch Bill hatte nichts davon gewusst; deshalb hatte Erin ihn damals überrumpelt, binnen weniger Sekunden kampfunfähig gemacht und ihn vor sämtlichen Kursteilnehmern zum Gespött gemacht. Erin war sicher, dass Bill seitdem nie mehr vergessen hatte, die Akten der CIA-Anwärter zu studieren.
    »So willst du es mir also heimzahlen, dass ich dich damals zur Schnecke gemacht habe«, sagte sie. »Du hoffst, dass einer deiner Novizen mich fertig macht.«
    Bill lachte. »Sagen wir mal so … es würde mir nicht unbedingt das Herz brechen.«
    »Du hast leicht reden. Du schaust ja vom Spielfeldrand zu.«
    »Wie du schon sagtest, das Leben in diesem Laden ist beschissen.«
    Erin schüttelte den Kopf. »Sie sind ganz schön niederträchtig, Officer Jensen.«
    Bill lächelte. »Oh ja.«
    Sie gelangten zu den Damenumkleideräumen. Als Erin hineingehen wollte, sagte Bill: »Warte noch. Wir müssen reden.«
    Erin bemerkte seinen veränderten Tonfall. »Was liegt an?«
    Bill zögerte einen Moment. »Du bist ein bisschen grob mit Cassidy umgesprungen, du hast ihn ziemlich brutal auf die Matte gelegt.«
    »Na, hör mal.« Erin hielt ihm demonstrativ die Arme hin: An den Stellen, wo Cassidy zugepackt hatte, waren rote Flecke zu sehen. Morgen würden sie sich blau verfärbt haben. »Der Kerl war auch nicht gerade zimperlich.«
    »Er hat nur seine Rolle gespielt.«
    »Ich etwa nicht?« Erin verschränkte die Arme. Sie konnte nicht glauben, dass Bill es ernst meinte.
    »Da bin ich mir nicht so sicher.« Bill schlug einen Moment die Augen nieder, dann richtete er den Blick wieder auf Erin. »Manchmal spielst du deine Rolle ein bisschen zu gut.«
    Erin schaute ihn verblüfft an. Er meinte es ernst. Bill machte sich tatsächlich Sorgen, dass sie, Erin, einen seiner handverlesenen Testosteron-Junkies verletzen könnte. »Das ist kein Spiel, Bill. Diese Rekruten …«
    »Um die geht es nicht. Es geht um dich.«
    »Was redest du denn da? Ich tue das nur, damit sie einen Vorgeschmack kriegen, was auf sie zukommt, wenn …«
    »Hör mal«, fiel Bill ihr ins Wort. »Ich weiß, dass du nicht wild darauf warst, wieder in den Vereinigten Staaten zu arbeiten.«
    Das ergab nun überhaupt keinen Sinn. »Was hat denn das damit zu tun?«
    »Du bist wütend, und das merkt man. Was du mit Cassidy angestellt hast …«
    »Jetzt halt mal die Luft an.« Wenn man seiner Wut freien Lauf ließ, konnte man in einem Trainingskampf töten oder getötet werden.
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