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Die dreißig tolldreisten Geschichten - 2 (German Edition)

Die dreißig tolldreisten Geschichten - 2 (German Edition)

Titel: Die dreißig tolldreisten Geschichten - 2 (German Edition)
Autoren: Honoré de Balzac
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zu kujonieren, kujonierten und frotzelten sie sich untereinander, weil sie der Sache gar nicht genug kriegen konnten, und beschwerten sich beim Wirt über die Mücken, behaupteten, anderswo seien die Gastgeber so rücksichtsvoll, diese Viecher fein anzubinden, die die Frechheit haben, vornehmen Herren auf die Nase zu scheißen.
    Als auf diese Weise ungefähr der fünfte Tag heranrückte, der bei Fiebern der kritische Tag ist, und der Wirt, wie sehr sich auch seine Augen aus ihren Höhlen hervorbohrten, noch niemals ein königliches Antlitz auf Goldgrund bei seinen Kunden gesehen hatte, abgesehen davon, daß noch lange nicht alles Gold ist, was glänzt, fing er an, ein schiefes Gesicht zu schneiden, und sein Gang, wenn die Herren Großkaufleute bestellten, wurde immer langsamer und schleppender. Er befürchtete bereits, ein schlechtes Geschäft mit den Herren zu machen, und begann ihnen ein wenig den Puls zu fühlen.
    Als die Spitzbuben das merkten, befahlen sie ihm mit dem Aplomb eines Profosen, der einen armen Strauchdieb hängen läßt, ihnen unverzüglich ein gutes Nachtessen aufzutragen, da sie noch am Abend abzureisen gedächten. Ihre lustige Sicherheit tat bei dem Wirt die Wirkung, daß seine Sorgen ausflogen wie ein Bienenschwarm. Das mußten also doch ernste Leute sein. Er bereitete ein Mahl, das eines Domherrn würdig gewesen wäre, und tat außerdem alles, um sie zu berauschen; denn in diesem Zustand konnte er sie leichter, wenn es je dazu kommen sollte, den Kerkerknechten übergeben. Die drei losen Buben aber dachten nur daran, wie sie sich mit Glimpf aus der Schlinge ziehen könnten, und es war ihnen ungefähr so wohl in ihrer Haut wie einem Fisch im Stroh.
    Um so wütender machten sie sich über das Essen und noch mehr über das Trinken her und schielten dabei nach den Fenstern, wie hoch sie seien und ob sie wohl als lose Vögel, die sie waren, durch diese Expedienz davonfliegen könnten; doch mußten sie den Gedanken daran als unausführbar aufgeben. Sie vermaledeiten ihre Lage und strengten vergeblich ihren Witz an. Der eine wollte im Freien unter dem Vorwand einer Kolik seine Hose ein wenig ausklopfen, der andre wollte für den dritten, der eine Ohnmacht heucheln sollte, einen Arzt suchen. Aber der verdammte Wirt war zwischen seinem Herd und dem Saal wie ein Pendel hin und her, ließ die Quidams nicht aus den Augen, machte einen Schritt vor, um von seinem Guthaben zu reden, und wich zwei zurück, um bei den hohen Herren nicht anzustoßen für den Fall, daß es wirklich hohe Herren sein sollten, kurz, benahm sich wie ein Wirt und Erzwirt, der das Geld liebt und die Prügel haßt. Aber unter dem Schein, dienstwillig aufzuwarten, hatte er stets ein Ohr im Saal und einen Fuß im Hof, glaubte jeden Augenblick, daß man ihn rufe, kam herbeigesprungen, sowie er ein Lachen hörte, zeigte ihnen sein breites Gesicht nicht anders, als wie man eine Rechnung vorweist, und sagte unaufhörlich:
    »Was gefällig, meine gnädigen Herren?«
    Als Antwort auf diese Frage hätten sie ihm am liebsten alle seine Bratspieße in die Gurgel gestoßen, denn er machte Miene, ab ob er recht wohl wisse, was ihnen gefiel oder vielmehr mißfiel in dieser Konjunktur. Diese war aber also beschaffen, daß für zwanzig vollwichtige Taler jeder einzelne ein Drittel seiner Seligkeit gegeben hätte. Nicht anders war es ihnen zumut, als wenn die Bank unter ihnen ein glühender Rost gewesen wäre, solchergestalt brannte ihnen der Hintere und kribbelte es ihnen in den Beinen. Schon hatte ihnen der Wirt die Birnen, den Käse und die Zuckerspeise unter die Nase gestellt; sie aber nippten nur noch an den Bechern, kauten, wie wenn sie Kieselsteine unter den Zähnen hätten, und blickten sich verstohlen an, ob nicht einer von ihnen noch zu guter Letzt, wenn nicht einen guten Dukaten, so doch einen guten Einfall aus dem Sack ziehen werde. Kurz, ihre Lustbarkeit war schließlich eine solche von der ganz traurigen Art. Der Pfiffigste unter ihnen, ein Burgunder, sah wohl, daß die bekannte Viertelstunde des Vaters Rabelais herannahte, er sagte lächelnd: »Meine Herren, ich beantrage Vertagung«, ganz wie wenn er der Vorsitzende einer Gerichtsverhandlung gewesen wäre.
    Die andern beeilten sich zu lachen, so wenig es ihnen darum war.
    »Was sind wir schuldig?« fragte derjenige, der die schon erwähnten zwölf Kupferkreuzer in seinem Beutel hatte; dabei schüttelte er sie, wie wenn er gehofft hätte, daß sie durch die heftige Bewegung Junge machen
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