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Die Dilettanten

Titel: Die Dilettanten
Autoren: Thomas Wieczorek
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Sozialstaat. Weshalb es nicht ganz leicht ist, sie überhaupt an die Wahlurnen zu bekommen.
5. Die Linke: Pflegeleichte Populisten?
    Weit entfernt von irgendwelchen Inhalten, wird von jeder Partei und möglichst jedem Politiker der Schwur verlangt, unter keinen Umständen an eine Koalition mit dem linken Gesindelauch nur zu denken – auf Bundesebene schon gar nicht. Nun ist das Ganze nicht sonderlich originell, wenn man sich nur gegen die faschistoide Hetze gegen die Studentenbewegung und die aus ihr hervorgegangene Grüne Partei erinnert: »Homosexuelle, ungewaschene, arbeitsscheue, bolschewistische Müslifresser« wurden sie beileibe nicht nur vom Boulevard betitelt. Nicht viel anders ergeht es heute der Partei Die Linke, nur dass man die eleganten »Womanizer« Lafontaine und Gysi schlecht als schwule Dreckspatzen bezeichnen kann. Nun ist die SEDVergangenheit eines großen Teils der Partei und ihrer Mitglieder nicht etwa der Grund für die streckenweise unkontrollierte Hysterie, sondern eher ein willkommener Anlass zur Diffamierung. Gerade Lafontaine und Gysi nämlich legen bei jeder Gelegenheit mündliche Eide auf die Verfassung und das Wirtschaftssystem ab. Die »Parteidoktrin« ist der Keynesianismus, entgegen der Meinung selbst von Funktionären der Linken keineswegs eine »linke Ideologie«. Er besagt im Wesentlichen nur, der Staat solle für die fehlende private Nachfrage einspringen und durch Planung die Wirtschaft stärker bestimmen. Keynes selbst meinte, man könne seine Theorie akzeptieren, ohne Kommunist, Sozialist oder Faschist zu sein.
    Wäre der Stiefnachbar von Lafontaines Urgroßvater Seeräuber gewesen, dann würde die Konkurrenz auch dies zum zentralen »Argument« erheben. Der wahre Grund für die tiefe Abneigung aber ist ebenso simpel wie offensichtlich: 40 Prozent der Bundesbürger sympathisieren mit den zentralen Punkten des Programms der Linken, und auch der Kampf gegen die Privatisierung findet zunehmend Anklang, wie der Parteieintritt von 221 der 300 Busfahrer der staatlichen
Saarbahn GmbH
im Sommer 2008 aus Protest gegen den geplanten Verkauf ihres Betriebes beweist.
    Die außerplanmäßige Erhöhung der Renten durch die großeKoalition halte er für eine Reaktion auf die Kritik von Oskar Lafontaine, schimpfte Alt-Bundespräsident Roman Herzog: »Da hat er offenbar einen wunden Punkt bei den Volksparteien getroffen.« 33
    Der »wunde Punkt« besteht darin, dass die große Mehrheit der Menschen sich absolut nicht mit dem Ende des Sozialstaats abfinden will: Immerhin brachten die siebziger Jahre vielen Bundesbürgern nicht nur materiellen Wohlstand, sondern auch ein vergleichsweise riesiges und chancengerechteres Bildungssystem sowie soziale Sicherheit in Krankheit und Alter. Um dies alles aufzugeben zugunsten eines Systems des gegenseitigen Vernichtungskampfes, bei dem am Ende wie beim Lotto eine Handvoll Millionäre und Millionen Verlierer übrigbleiben, müssten die Bürger schon bessere Argumente hören als frei erfundene »Sachzwänge der Globalisierung«. Schon der sprichwörtliche gesunde Menschenverstand sagt: Es kann nicht sein, dass trotz ständig steigender Produktivität und einer gigantischen Vergrößerung des globalen und nationalen Gesamtreichtums die Masse der Menschen immer ärmer wird.
    Dies zu benennen bringt der Partei den permanenten Vorwurf des Populismus ein, aber was bedeutet er schon? Ob Pendlerpauschale, Rente ab 67, Mindestlöhne oder Hartz-Korrektur: eben noch als »populistisch« diffamiert, wird eine Idee der Linken nach der anderen klammheimlich übernommen. Als die Fraktion schon im Februar 2007 im Bundestag eine Börsenumsatzsteuer gegen Zockerei vorschlägt, schäumen die anderen Parteien: »Milchmädchenrechnung« und »Rote Socken«. Zwei Jahre später fordern die Sozialdemokraten dasselbe. »SPD kupfert Wahlkampf-Idee bei Linkspartei ab«, titelt
Spiegel Online
am 12. Februar 2009.
    Aber selbst wenn tatsächlich vereinfacht und das Blaue vom Himmel gefordert wird: Wieso fallen immer mehr Menschendarauf herein? Warum gelingt es den anderen Parteien nunmehr seit Jahrzehnten nicht so recht, ihr neoliberales Rezept zu »erklären«, die Bürger »abzuholen« und »mitzunehmen«? Vielleicht deshalb, weil die Bürger bereits sehr gut verstanden haben und weder »abgeholt« noch »mitgenommen« werden wollen? Rot-Rot könnte schon deshalb auch bundesweit eine realistische Option für die SPD werden, weil sich Die Linke als mitregierender Juniorpartner
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