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Die Depressionsfalle

Die Depressionsfalle

Titel: Die Depressionsfalle
Autoren: Wilhelm Braumüller <Wien> , Alfred Springer
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Geschlechtsdifferenzielle soziale Bedingungen
    Diese Bedingungen sind als miteinander in wechselseitiger Beeinflussung stehend zu verstehen: Das Seelenleben reagiert auf oder provoziert körperliche Veränderungen, die Umwelt reagiert auf die Veränderungen und das Verhalten – man denke nur an pubertierende Jugendliche und deren Eltern oder Lehrer –, was wiederum im Sinne eines circulus vitiosus, eines teuflischen Kreislaufs, auf die Person rückwirkt.
    Auf Seiten der geschlechtsdifferenziellen psychischen Bedingungen sind die Persönlichkeitsaspekte und vor allem die Selbstkonzepte und die damit verbundene Möglichkeit, Bewältigungsstrategien zu entwickeln, von Bedeutung. So scheinen depressive Mütter Depressivität eher auf ihre Töchter zu übertragen als auf ihre Söhne. Es kann sein, dass Töchter sich eher mit der ‚Hilflosigkeit‘ ihrer depressiven Mütter identifizieren. Dies mag mit der unterschiedlichen Bindungsqualität von Müttern zu weiblichen im Unterschied zu männlichen Kindern zusammenhängen: Weibliche Kinder werden mitunter als lebenslängliche „Opferanhängsel“ ihrer depressiven Mütter mit einem scheinbar untrennbaren Bindungsmodus festgehalten. Soziokulturelle Bedingungen wie Erziehung oder religiöse Einflüsse, sind für das subjektive Erleben und die psychische Befindlichkeit im individuellen Umgang mit der Fruchtbarkeit von besonderer Bedeutung; ebenso der sozioökonomische Status. Frauen, die nur im Haushalt tätig sind, haben den niedrigsten sozialen Status, etwa gleich einem Arbeitslosen. 2
Depressionsentwicklung im weiblichen Lebenszyklus
    Die geschlechtsdifferenziellen biogenetischen Bedingungen stehen in Wechselwirkung mit den geschlechtsdifferenziellen psychischen und sozialen Bedingungen. Epidemiologische Studien zur Geschlechterverteilung depressiver Störungen in verschiedenen Altersgruppen unterstützen die Bedeutung der weiblichen Fruchtbarkeit im Zusammenhang mit Entstehung und Aufrechterhaltung von depressiven Störungen. So konnten Cecilia Essau und ihr Team in einer Studie 1998 überzufällige (signifikante) Geschlechtsunterschiede ab dem Alter von 14 Jahren zeigen, wobei die Depressionsraten der Mädchen signifikant höher lagen als die der Knaben. 3 Dieses Vorherrschen depressiver Störungen bei Frauen bleibt über die fruchtbare Lebensphase bestehen. Danach gleicht sich das Depressionsrisiko eher an jenes der Männer an. Damit ist auch der Zusammenhang von depressiven Störungen mit geschlechterrollenbezogenen Faktoren offensichtlich.
    Mittels einer breit angelegten Felduntersuchung in Deutschland (der „Mannheimer Kohortenstudie“ von Heinz Schepank und Mitarbeitern, 1987) konnten über zufällige Zusammenhänge zwischen mittelschweren und schweren Depressionen einerseits und Katastrophen in der Kindheit (siehe Seite 76 / 77 ) – besonders Verluste – andererseits, empirisch, also mittels wissenschaftlicher Erkenntnis, die nachvollziehbar beschrieben und wiederholbar ist, nachgewiesen werden. Schließlich werden kritische Lebensereignisse – dabei wiederum Verluste, besonders das „Verschwinden“ von wichtigen Bezugspersonen, aber auch von vertrauten Lebensumständen („exit from the social field“) 4 als auslösende Faktoren beschrieben.
Geschlechtsdifferenzielle biogenetische Bedingungen – Verluste im weiblichen Lebenszyklus
    Im Unterschied zum männlichen bringt der weibliche Lebenszyklus deutlich mehr Möglichkeiten für Verluste mit sich – Verluste, welche direkt oder indirekt den weiblichen Körper betreffen. Auch eine komplikationslos verlaufende Schwangerschaft und Geburt zwingtjede Frau, sich mit Verlusten zu arrangieren: dem Verlust des Körperbildes bei gleichzeitiger Erfordernis der Anpassung an ein anderes Bild – zuerst an das der ‚Schwangeren‘, dann an das der ‚Wöchnerin’ und schließlich an das Bild der ‚Mutter‘. Schwangerschaftskomplikationen, Fehlgeburt oder Totgeburt bedeuten dramatische Verluste für die betroffene Frau. Die französische Psychoanalytikerin Joyce McDougall (1991) spricht von einem „weiblichen Körpergedächtnis“. Sie versteht darunter die Tatsache, dass der weibliche Körper mehr Höhlen (recessi) aufweist als der männliche, davon ableitbar auch über mehr „Schlupfwinkel“ verfügt, in
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