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Die Datenfresser

Titel: Die Datenfresser
Autoren: Constanze Kurz
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reflektiert.
    Im Internet heißen sie nicht mehr Kampfnamen, doch gehörte die Verwendung von sogenannten Nicknames – neudeutsch für Spitznamen – schon von Anbeginn zur Netzkultur. Ob nun Kurz- oder Koseform des eigenen Vornamens, inspiriert durch Romanfiguren oder zufällig entstandene Silben-Kombinationen, Netzbewohner nutzen die Möglichkeit, sich mehrere Identitäten zuzulegen schon immer. Die Abtrennung der Informationen, die zur Identifikation der eigenen Person führen können, von der zweiten Kerneigenschaft einer Identität – die Wiedererkennbarkeit und Zuordenbarkeit zu vergangenen Äußerungen und Taten – öffnet Freiheits- und Spielräume. Politische Äußerungen, Meckern über den Chef, Erkundungen in außergewöhnlichere Sphären der menschlichen Natur: Wann immer man eine fortlaufende Diskussion führen oder eine Vertrauensbeziehung zu anderen aufbauen möchte, ist ein Pseudonym hilfreich.
    Doch auch für die Verwendung von Pseudonymen gibt es ein paar Grundregeln. Die erste ist, keinen Namen zu wählen, der einfache Rückschlüsse auf die reale Identität erlaubt, insbesondere auch nicht für Menschen, die einen gut kennen. Der zweite Grundsatz ist, für jeden Service möglichst ein anderes Pseudonym zu verwenden.
    Häufig ist man nicht der einzige, der mehrere Dienste im Netz benutzt, und auch die Anbieter tauschen Daten untereinander aus. Wenn nun das Pseudonym im Nutzernamen überall gleich verwendet wird, ist die Zusammenführung der Daten einfach. Auch für Neugierige, Privatschnüffler und Stalker, die gern wissen wollen, wer sich hinter einem pseudonymen Nutzernamen verbirgt, wird damit das Spiel sehr viel einfacher. Wer auf Flickr, Facebook, Twitter, Studi VZ und StayFriends nur überall nach dem gleichen Pseudonym suchen muß, kann problemlos die Daten aus all diesen Quellen zusammenführen und die Puzzlesteine zusammensetzen. So mag zwar auf dem Datingportal nicht viel Verräterisches zu erfahren sein, weil man aufpaßt, welche Informationen man dort preisgibt. Wenn aber unter dem gleichen Namen ein Facebook-Profil und eine über Jahre gut gepflegte Bildersammlung bei Google Picasa existieren, fällt es nicht weiter schwer, alles über das Objekt der Begierde zu erfahren.
    Der dritte Grundsatz fällt häufig am schwersten: Wann immer man das Gefühl oder Hinweise darauf hat, unter einem Pseudonym könnte sich eine zu große Datenmenge angesammelt haben, ist es an der Zeit, das Pseudonym aufzugeben und sich ein neues zuzulegen, das keine Verbindung zum alten aufweist. Das fällt mitunter schwer, da monate- oder jahrelange Verbindungen verlorengehen können. Doch »verbrannte« Pseudonyme sind nutzlos, ihre Weiterverwendung daher nicht zu empfehlen.
    Bei jeder ernsthaften Verwendung von Pseudonymen sollte natürlich auch beachtet werden, daß keine direkten Hinweise auf die tatsächliche Identität erfolgen. Hat das pseudonyme Profil bei Facebook etwa Links auf die offizielle Webseite des eigenen Arbeitsplatzes oder auf ein Blog, das mit dem Realnamen betrieben wird, ist es ein allzu leichtes, das Pseudonym mit dem dahinterstehenden Menschen zu verbinden. Das geschieht heute bereits automatisiert durch Analyse verwendeter Links über die Zeit.

Entspannt abwarten, ruhig handeln
    Jeden Monat kommt eine Vielzahl neuer Online-Dienste auf den Markt, die alles mögliche versprechen. Mit der Perspektive von jetzt mehr als fünfzehn Jahren Rückschau auf das Netz läßt sich feststellen, daß nur die wenigsten dieser Dienste es tatsächlich schaffen, am Markt zu bleiben und ihre Versprechen einzulösen. Fast alle verschwinden wieder, wenn das Risikokapital aufgebraucht ist und sich einfach keine zahlungswillige Kundschaft einstellen möchte. Ihre Datenbestände werden dann entweder von Konkurrenten aufgekauft oder gar meistbietend im Zuge des Insolvenzverfahrens versteigert. Das passiert auch bei Diensten, die auf dem Höhepunkt ihres kurzen Lebens den Eindruck erwecken, quasi unabdingbar für den digitalen Lifestyle zu sein und alle Nichtmitglieder automatisch zu angestaubten Außenseitern stempeln. Drei oder vier Jahre später sind sie dann sang- und klanglos in der Versenkung verschwunden, nur die Daten der innovationsfreudigen Benutzer sind für immer gespeichert und in den Datenverwertungskreislauf eingeflossen.
    Die Erfahrung lehrt, daß gerade bei besonders angesagten neuen Diensten eine gesunde, abwartende Skepsis angebracht ist. Der tatsächliche Nutzen ist anfangs oft schwer
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