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Die Datenfresser

Titel: Die Datenfresser
Autoren: Constanze Kurz
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politisch unerfreulichen Regimes als Beispiel heranziehen. Die Fälle von unerwünschter Offenlegung der allzu persönlichen Vorlieben, Details des Berufslebens oder der familiären Umstände können auch hierzulande gefährlich werden.
    Die Serie von Selbstmorden junger Homosexueller in den USA , die per Internetvideo von Bekannten zwangsgeoutet wurden, ist ein deutlicher Hinweis darauf, daß die Idee einer »Post-Privacy«-Gesellschaft, in der jeder folgenlos alles über alle wissen kann, nur ein realitätsfernes Gedankenexperiment ist. Der soziale Spielraum, den der einzelne hat, ist geprägt von den spezifischen Vorstellungen von Moral, Ethik und auch der Religion seines Umfelds, seiner Erziehung, seinem Job und durch emotionale Bindungen, er ist nicht verallgemeinerbar und muß von jedem selbst herausgefunden und in seinem Sinne beeinflußt und berücksichtigt werden.

Datenkosten und Nutzen abwägen
    Digitale Mündigkeit heißt jedoch eben nicht, zum Netzeremiten zu werden und die vielen neuen Möglichkeiten aus lauter Angst vor Problemen und Risiken nicht zu nutzen. Ein erster wichtiger Schritt ist, bei jedem Anlaß kurz zu überlegen, ob und wem gegenüber es gerade wirklich notwendig ist, Informationen preiszugeben, die eine Zuordnung zur eigenen Person ermöglichen – und welchen Gegenwert man dafür bekommt. Grundsätzlich sollte man es vermeiden, seinen Realnamen überhaupt zu verwenden, soweit dies möglich ist: Ein paar virtuelle Identitäten mehr als im realen Leben sind durchaus erstrebenswert und eröffnen manchmal erst Möglichkeiten.
    Besonders bei statistisch seltenen Namen muß man eine Abwägung treffen, wann er angegeben wird oder nicht. Die Verwendung des eigenen Namens ist schließlich nur dann wirklich erforderlich, wenn ein Rechtsgeschäft zustande kommen soll, das nicht anonym oder pseudonym abgeschlossen werden kann. Die Adresse oder die Telefonnummer sind nur dann wirklich vonnöten, wenn eine Lieferung erfolgen soll oder Rückfragen üblich und sinnvoll sind. Oft genug verlangen die Webformulare der einzelnen Anbieter sogar das Geburtsdatum, wofür es de facto keinerlei Begründung außer Datengier gibt, denn eine Bestätigung der Volljährigkeit muß das konkrete Datum nicht einschließen.
    Das sind einfache Grundregeln. Sie basieren auf dem Wissen, daß die eigenen Daten einen finanziellen Wert haben, den es nicht ohne Grund zu verschenken gilt. Schwierig aber ist diese Abwägung bei Daten, die wir implizit oder gar unbemerkt nebenbei freigeben, etwa auf Profilseiten in sozialen Netzwerken, durch die Urlaubsbilder in Fotodiensten, Fragen zu Krankheiten in Betroffenenforen oder durch Suchbegriffe, Mobiltelefon-Tracking oder die Kombination von Online-Aktivitäten.

Elefantengedächtnis
    Ein grundlegendes Problem ist das Elefantengedächtnis des Netzes. Ein Konzept des Vergessens, wie wir es bei Menschen kennen und zuweilen schätzen, ist hier nicht vorgesehen. Niemand kann vorhersagen, was mit den einmal preisgegebenen Informationen passiert und, vor allem, wer sie aus welchen Gründen mit anderen Daten in Zusammenhang bringt. Die kommerziellen Anbieter sichern sich in der Regel juristisch ab, um sich den legalen Zugriff auf alles Hochgeladene zu sichern. Facebook schreibt beispielsweise in seinen Geschäftsbedingungen schon lange fest, das unwiderrufliche Nutzungsrecht an allen veröffentlichten Daten, Bildern und Videos zu haben. Das gilt seit 2009 sogar für Nutzer, die ihren Account löschen.
    War es heute noch risikolos, seine Bilder unter einem Phantasienamen bei Facebook oder der Foto-Plattform Flickr hochzuladen, wo sie unter den vielen Millionen anderen Bildern zu verschwinden scheinen, können durch die Weiterentwicklung von Gesichtserkennungstechnologien in Zukunft eine Vielzahl von Personen automatisch identifiziert werden. Bereits heute gibt es funktionierende Algorithmen, mit denen sich relativ gut alle Freunde innerhalb des eigenen Online-Fotoalbums automatisch erkennen lassen (siehe Kapitel 5).
    Längst erlaubt die Google-Bildersuche das Filtern von Fotografien danach, ob ein oder mehrere Gesichter abgebildet sind. Der nächste, bereits angekündigte Schritt ist die algorithmische Suche nach männlichen oder weiblichen Gesichtern, ebenso wie die Unterscheidung nach dem ungefähren Alter des Abgebildeten. Da dies bereits in sehr naher Zukunft Realität sein wird, gilt es, dies heute schon beim Hochladen von Fotografien von Menschen im Hinterkopf zu haben.

Vor wem will
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