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Die Daemonenseherin

Die Daemonenseherin

Titel: Die Daemonenseherin
Autoren: Brigitte Melzer
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mit der anderen Hand den Schalldämpfer gegen die Schläfe. Der Sicherungshebel klickte, ein endgültiger Laut, der ihren bevorstehenden Tod ankündigte. Ehe Alessa wusste, was sie tat, senkte sie ihre Schutzschilde und tastete nach ihren Kräften. Mit einem Ruck befreite sie sich aus seinem Klammergriff und fuhr zu ihm herum. Sie riss den Kopf zur Seite, gleichzeitig griff sie mit ihrem Geist nach der Pistole. Die Waffe wurde dem Polizisten aus der Hand gerissen und fiel zu Boden.
    Ein Schuss löste sich.
    »Diesmal schlägst du mich damit nicht in die Flucht!«, zischte er. »Diesmal nicht!«
    Alessa sprang zurück. Ehe sie jedoch aus seiner Reichweite gelangte, drosch er ihr die Faust ins Gesicht. Die Wucht des Schlages riss sie von den Beinen. Sie schlug hart auf dem Rücken auf. Grelle Sterne explodierten vor ihren Augen und verloren ihren Glanz rasch, als die Schwärze der nahenden Bewusstlosigkeit in ihren Augenwinkeln herankroch. Sie schüttelte heftig den Kopf. Ein wenig wich die Schwärze zurück. Ihr Kiefer schmerzte und ihr Schädel schien jeden Augenblick platzen zu wollen, doch trotz des immensen Drucks, der sich hinter ihrer Stirn aufbaute, zwang sie sich auf die Knie.
    Der Polizist bückte sich nach seiner Waffe. Alessa richtete ihre Energie auf die Pistole und verpasste ihr einen Stoß, der sie außer Reichweite rutschen ließ. Am liebsten hätte sie die Waffe mit ihrem Geist genommen und auf Morgan gerichtet, doch in diesem Moment erwachte der Dämon in ihr mit einem Brüllen zum Leben. Es war das erste Mal, dass er sich regte, seit sie versucht hatte, ihn sich aus dem Leib zu schneiden, und sie hatte gehofft, ihn niemals wieder spüren zu müssen. Jetzt jedoch rüttelte er mit einer nie gekannten Macht an den Mauern seines Gefängnisses und verlangte herausgelassen zu werden.
    Morgan fuhr herum und trat nach Alessa. Er traf sie so heftig in der Seite, dass ihr die Luft wegblieb. Sie stürzte nach hinten und fing sich mit den Händen ab. Um Atem ringend rollte sie sich herum und warf sich nach vorne. Sie erwischte Morgan beim Saum seiner Hosen und riss daran. Mit einem Ruck befreite er sich und rammte ihr seinen Absatz auf die linke Hand. Ihr kleiner Finger knackte und brach. Alessa schrie und streckte den anderen Arm nach vorne. Ihre Finger glitten über Stoff, sie reckte sich und bekam sein Bein unterhalb des Knies zu fassen. Schnell packte sie auch mit der anderen Hand zu. Ein brüllender Schmerz schoss durch ihren gebrochenen Finger, als sie ihm das Bein mit aller Kraft wegzog. Er schlug der Länge nach hin, was seine Hände näher an die Waffe brachte. Auf dem Bauch kroch er vor, den Arm nach der Pistole gereckt. Und wieder gab Alessa mit ihrem Geist der Waffe einen Stoß, diesmal so hart, dass diese bis ins Schlafzimmer schlitterte.
    Der Einsatz ihrer Fähigkeiten ließ den Dämon schlagartig wachsen und so konnte sie ihre Schutzwälle kaum noch halten. Er war groß genug, um sie zu zerfetzen – ohne die Mauer hätte er es schon getan. Alessa versuchte ihn zurückzuzwingen und ihren Schutz wieder aufzubauen, doch er war jetzt kaum noch zu bändigen. Seine Wut und die rohe Kraft, die all die Jahre unter der Oberfläche gebrodelt hatten, suchten sich nun ihren Weg nach draußen. Er kratzte nicht länger nur an den Gefängnismauern, die sie in ihrem Geist errichtet hatte, sie spürte ihn jetzt auch in ihrer Schulter. Ein höllisches Brennen, das sich vom Samenkorn ringförmig ausbreitete, durchfuhr sie. Die Naht, die den Schnitt zusammenhielt, platzte auf. Etwas Warmes lief über ihre Schulter.
    Blut.
    Panik wallte in ihr auf, durchfuhr sie abwechselnd in heißen und kalten Wellen und ließ ihre Knie nachgeben, als sie versuchte auf die Beine zu kommen.
    Die Mauer! Ich muss die Mauer wieder aufrichten!
    Sie sammelte ihre Kräfte, holte sie aus dem letzten Winkel ihres Körpers, und zog mit aller Macht, die ihr geblieben war, die Schutzschilde nach oben. Der Dämon drängte dagegen, versuchte zu verhindern, dass sie ihn in seinen Kerker zurückstieß. Alessa spürte, wie sich die Schwäche immer weiter in ihr ausbreitete, und schloss die Augen. Das letzte Mal hatte sie es nur mithilfe von Kents Energie geschafft. Dieses Mal war sie allein. Sie erinnerte sich daran, wie es gewesen war, von seiner Stärke durchströmt zu werden und sie sich zunutze zu machen. Die Vorstellung eröffnete ihr einen letzten, winzigen Kraftvorrat, den sie dem Dämon entgegenschleuderte. Dann stand die Mauer wieder.
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