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Die Dämonen

Titel: Die Dämonen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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solche Briefe sandte. Er allerdings hatte eine sinnlose Passion für das Briefschreiben und schrieb an seine Gönnerin sogar in der Zeit, als er mit ihr in demselben Hause wohnte, und in Fällen nervöser Überreizung selbst zweimal an einem Tage. Ich weiß bestimmt, daß sie diese Briefe immer mit der größten Aufmerksamkeit durchlas, sogar wenn sie zwei an demselben Tage erhielt, und daß sie sie nach dem Durchlesen, mit dem Eingangsdatum versehen und wohlgeordnet, in einem besonderen Fache aufhob; außerdem bewahrte sie sie in ihrem Herzen auf. Nachdem sie dann ihren Freund einen ganzen Tag lang ohne Antwort gelassen hatte, verkehrte sie mit ihm, als ob nichts geschehen wäre und als ob sich am vorhergehenden Tage nichts Besonderes zugetragen hätte. Mit der Zeit richtete sie ihn so ab, daß er selbst nicht mehr wagte, der Ereignisse des vorigen Tages Erwähnung zu tun, sondern ihr nur eine Weile in die Augen sah. Aber sie vergaß nichts, während er mitunter nur zu schnell vergaß und, durch ihr ruhiges Benehmen ermutigt, nicht selten gleich an demselben Tage, wenn Freunde zu Besuch gekommen waren, beim Champagner lachte und Tollheiten trieb. Mit welchem Ingrimm sah sie ihn in solchen Augenblicken an, ohne daß er etwas davon gemerkt hätte! Etwa nach einer Woche, nach einem Monat oder auch erst nach einem halben Jahre fiel ihm bei irgendeinem besonderen Anlaß irgendein Ausdruck aus einem solchen Briefe wieder ein, und demnächst der ganze Brief mit allen Begleitumständen; dann stieg eine heiße Scham in ihm auf, und seine Pein war manchmal so groß, daß er an einem seiner Cholerineanfälle erkrankte. Diese ihm eigentümlichen cholerineartigen Anfälle bildeten den gewöhnlichen Ausgang einer Nervenerschütterung und waren eine in ihrer Art merkwürdige Kuriosität seiner Körperkonstitution.
    Allerdings war es sicher, daß ihn Warwara Petrowna haßte, und zwar sehr oft haßte; aber während er dies bemerkte, nahm er etwas anderes an ihr bis zu seinem Lebensende nicht wahr, daß er nämlich schließlich für sie gleichsam ihr Sohn, Fleisch von ihrem Fleische, ihr Geschöpf, ja man kann sagen ihre Erfindung geworden war, und daß sie ihn keineswegs nur deswegen bei sich behielt und unterhielt, weil sie ihn, wie er sich ausdrückte, um seine Talente beneidete. Wie mußte sie sich also durch solche Vermutungen gekränkt fühlen! Mitten unter dem unaufhörlichen Haß, der steten Eifersucht und der dauernden Geringschätzung lag in ihrem Herzen eine warme Liebe zu ihm verborgen. Sie behütete ihn vor jedem Lüftchen, sorgte zweiundzwanzig Jahre lang für ihn wie eine Kinderfrau und hätte ganze Nächte nicht geschlafen vor Sorge, wenn sein Ruhm als Dichter, als Gelehrter und als Politiker in Gefahr gewesen wäre. Sie hatte ihn sich ausgesonnen und war die erste, die an das Produkt ihres eigenen Geistes glaubte. Er war gewissermaßen ein Gebilde ihrer Phantasie. Aber dafür forderte sie von ihm auch wirklich viel, manchmal sogar einen sklavischen Gehorsam. Nachtragend war sie in ganz unglaublichem Grade. Bei dieser Gelegenheit möchte ich zwei Geschichtchen erzählen.
     
IV.
     
    Eines Tages (es war zu der Zeit, als sich eben erst das Gerücht von der Befreiung der Bauern verbreitet hatte und ganz Rußland plötzlich aufjubelte und sich zu einer völligen Wiedergeburt anschickte) erhielt Warwara Petrowna den Besuch eines durchreisenden Barons aus Petersburg, der sehr hohe Verbindungen besaß und diesem Vorgange sehr nahe stand. Warwara Petrowna legte auf solche Besuche außerordentlich viel Wert, weil ihre Verbindungen mit den höchsten Gesellschaftskreisen nach dem Tode ihres Mannes sich immer mehr gelockert und zuletzt ganz aufgehört hatten. Der Baron blieb eine Stunde bei ihr und trank Tee. Andere Gäste waren nicht anwesend; aber Stepan Trofimowitsch war eingeladen worden und wurde zur Schau gestellt. Der Baron hatte bereits früher über ihn einiges gehört oder tat wenigstens so, als ob er etwas über ihn gehört hätte, beachtete ihn aber beim Tee nur wenig. Selbstverständlich sollte Stepan Trofimowitsch nach dem Willen seiner Gönnerin nicht im Hintergrunde bleiben, und er besaß ja auch sehr feine Umgangsformen. Wiewohl er meines Wissens nur von geringer Herkunft war, hatte es sich doch so gemacht, daß er schon von frühester Kindheit an in einem Moskauer Hause gelebt und daher eine vorzügliche Erziehung erhalten hatte; Französisch sprach er wie ein Pariser. Auf diese Weise sollte der Baron gleich
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