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Die Dämonen

Titel: Die Dämonen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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Schwanken; er quälte sich mit Zweifeln und weinte sogar ein paarmal aus Unschlüssigkeit (er weinte überhaupt ziemlich oft). Abends aber, das heißt in der Laube, begann sein Gesicht unwillkürlich einen launischen, spöttischen, koketten und gleichzeitig hochmütigen Ausdruck anzunehmen. So etwas pflegt unversehens und unwillkürlich zu geschehen, und je edler der betreffende Mensch ist, um so leichter ist ein solcher Ausdruck bemerkbar. Es ist schwer, darüber etwas zu behaupten, aber das wahrscheinlichste ist, daß in Warwara Petrownas Herzen sich nichts regte, wodurch Stepan Trofimowitschs Verdacht hätte gerechtfertigt werden können. Auch hätte sie ihren Namen Stawrogina wohl nicht mit dem seinigen vertauschen mögen, mochte dieser auch noch so berühmt sein. Vielleicht lag ihrerseits weiter nichts vor als ein Spiel mit diesem Gedanken; es dokumentiert sich darin eben ein unbewußtes weibliches Bedürfnis, das in manchen außerordentlichen Situationen des Weibes sehr natürlich ist. Übrigens kann ich dafür keine Bürgschaft übernehmen; die Tiefen des Frauenherzens sind bis auf den heutigen Tag noch unerforscht.
    Man muß annehmen, daß sie im stillen den seltsamen Gesichtsausdruck ihres Freundes gar bald verstanden hatte; denn sie war achtsam und scharfsichtig, er dagegen bisweilen nur allzu harmlos. Aber die Abende nahmen ihren bisherigen Verlauf, und die Gespräche waren ebenso poetisch und interessant wie vorher. Eines Abends hatten sie sich bei Einbruch der Nacht nach einem höchst lebhaften, poetischen Gespräche in freundschaftlicher Weise mit einem warmen Händedruck voneinander an der Tür des Nebengebäudes getrennt, in welchem Stepan Trofimowitsch wohnte. Jeden Sommer zog er aus dem riesigen Herrschaftsgebäude von Skworeschniki in dieses fast im Garten stehende Nebengebäude um. Kaum war er in sein Zimmer gekommen, hatte sich in unruhvollem Nachdenken eine Zigarre genommen, aber noch nicht Zeit gefunden, sie anzurauchen, hatte sich müde, wie er war, ans offene Fenster gestellt und betrachtete nun, regungslos dastehend, die leichten, weißen Federwölkchen, die an dem klaren Monde vorüberglitten, als plötzlich ein leichtes Geräusch ihn zusammenfahren ließ und ihn veranlaßte, sich umzuwenden. Vor ihm stand wieder Warwara Petrowna, die er erst vor vier Minuten verlassen hatte. Ihr gelbes Gesicht war fast bläulich geworden; die fest zusammengepreßten Lippen zuckten an den Mundwinkeln. Etwa zehn Sekunden lang sah sie ihm schweigend mit festem, unerbittlichem Blicke in die Augen und flüsterte auf einmal hastig:
    »Das werde ich Ihnen nie vergessen!«
    Als Stepan Trofimowitsch erst zehn Jahre später, nachdem er vorher die Tür verschlossen hatte, mir flüsternd diese traurige Geschichte erzählte, da schwur er mir, er sei damals so starr vor Schreck gewesen, daß er weder gehört noch gesehen habe, wie Warwara Petrowna wieder verschwunden sei. Da sie nachher nie ihm gegenüber eine Anspielung auf diesen Vorgang machte und alles seinen Gang nahm, als ob nichts geschehen wäre, so neigte er sein ganzes Leben lang zu der Annahme, daß dies alles eine Halluzination vor einer Krankheit gewesen sei, um so mehr weil er in derselben Nacht wirklich für volle zwei Wochen erkrankte, was sehr gelegen auch den Zusammenkünften in der Laube ein Ende machte.
    Aber trotzdem er halb und halb an eine Halluzination glaubte, erwartete er doch sein ganzes Leben lang täglich gewissermaßen eine Fortsetzung dieses Ereignisses, eine Lösung dieses Rätsels. Er glaubt nicht, daß die Sache damit zu Ende sei! Unter diesen Umständen konnte er nicht umhin, seine Freundin mitunter in sonderbarer Weise anzusehen.
     
V.
     
    Sie hatte sogar selbst für ihn ein Kostüm entworfen, in dem er denn auch lebenslänglich ging. Dieses Kostüm war geschmackvoll und charakteristisch: ein langschößiger, schwarzer, fast bis oben zugeknöpfter, aber elegant sitzender Oberrock; ein weicher Hut (im Sommer ein Strohhut) mit breiter Krempe; ein weißes batistnes Halstuch mit einem großen Knoten und herabhängenden Enden; ein Spazierstock mit silbernem Knopf; dazu bis auf die Schultern reichendes Haar. Er war dunkelblond, und erst in der letzten Zeit begann sein Haar ein wenig zu ergrauen. Den Bart rasierte er weg. Es wurde gesagt, er sei in seiner Jugend sehr hübsch gewesen. Aber meiner Ansicht nach war er auch im Alter noch außerordentlich anziehend. Und kann man überhaupt schon von Alter reden, wenn jemand dreiundfünfzig
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