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Die Dämonen

Titel: Die Dämonen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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Er manövrierte so geschickt um sie herum, daß er auch sie trotz all ihrer olympischen Höhe ein paarmal dazu brachte, Warwara Petrownas Salon zu besuchen. Es waren sehr ernste, sehr höfliche Männer; sie betrugen sich gut; die übrigen hatten offenbar Furcht vor ihnen; aber es war augenscheinlich, daß sie keine Zeit hatten. Es erschienen dort auch zwei oder drei frühere literarische Zelebritäten, mit denen Warwara Petrowna schon seit längerer Zeit die besten Beziehungen unterhielt, und die sich damals zufällig in Petersburg aufhielten. Aber zu Warwara Petrownas Erstaunen waren diese wirklichen und unzweifelhaften Zelebritäten wie um den Finger zu wickeln, und manche von ihnen schmeichelten geradezu diesem ganzen neuen Gesindel und buhlten in schmählicher Weise um seine Gunst. Anfangs hatte Stepan Trofimowitsch Glück; man bemühte sich um ihn und stellte ihn in öffentlichen literarischen Versammlungen zur Schau. Als er zum erstenmal an einem öffentlichen literarischen Vortragsabende als einer der Vorlesenden die Rednerbühne betrat, erscholl ein rasendes Händeklatschen, das fünf Minuten lang nicht verstummte. Er erinnerte sich daran neun Jahre später mit Tränen in den Augen, übrigens mehr infolge seiner Künstlernatur als aus Dankbarkeit. »Ich schwöre Ihnen und wette darauf,« sagte er selbst zu mir (aber nur zu mir und im geheimen), »daß unter diesem ganzen Publikum niemand von mir auch nur das geringste wußte!« Ein beachtenswertes Bekenntnis: also besaß er doch einen scharfen Verstand, wenn er gleich damals auf der Rednerbühne seine Situation trotz seines Freudenrausches so klar zu erfassen vermochte, und andrerseits besaß er keinen scharfen Verstand, wenn er noch neun Jahre nachher daran nicht ohne ein Gefühl der Kränkung zurückdenken konnte. Man bat ihn, zwei oder drei Kollektivproteste zu unterschreiben (wogegen, das wußte er selbst nicht); er unterschrieb. Auch Warwara Petrowna wurde um ihre Unterschrift unter einem »Protest gegen das ungehörige Verhalten jemandes« ersucht; auch sie unterschrieb. Übrigens hielten die meisten dieser neuen Männer, wenn sie auch Warwara Petrowna besuchten, doch aus nicht recht verständlichem Grunde sich für verpflichtet, mit Geringschätzung und unverhohlenem Spotte auf sie herabzusehen. Stepan Trofimowitsch deutete mir später in Augenblicken der Bitterkeit an, daß sie ihn seitdem sogar beneidet habe. Sie sah allerdings ein, daß sie mit diesen Menschen nicht verkehren könne; aber trotzdem empfing sie sie bei sich mit großer Beflissenheit und echt weiblicher nervöser Ungeduld, da sie (und das war die Hauptsache) immer erwartete, daß bald etwas kommen werde. Bei den Abendgesellschaften redete sie wenig, obgleich sie sehr wohl imstande gewesen wäre zu reden; aber sie hörte meist zu. Man sprach über die Abschaffung der Zensur und der stummen Endbuchstaben, über den Übergang von der russischen Schrift zur lateinischen, über die tags zuvor erfolgte Verbannung irgend jemandes, über eine Skandalgeschichte, die in der Passage vorgekommen war, über die Zweckmäßigkeit einer Zerstückelung Rußlands in einzelne Völkerschaften mit einem freien föderativen Bundesverhältnis, über die Abschaffung der Armee und der Flotte, über die Wiederherstellung Polens am Dnjepr, über die bäuerliche Reform und die Proklamationen, über die Abschaffung des Erbrechts, des Familienlebens, der privaten Kindererziehung und der Geistlichkeit, über die Frauenrechte, über Krajewskis Haus, das niemand Herrn Krajewski verzeihen konnte, usw. usw. Es war klar, daß sich in dieser Gesellschaft von neuen Männern viele Schurken befanden; aber unzweifelhaft waren darunter auch viele ehrenhafte, sogar sehr anziehende Persönlichkeiten, wenn sie auch einige verwunderliche Färbungen aufwiesen. Die ehrenhaften waren weit unverständlicher als die unehrenhaften und groben; aber es war nicht zu erkennen, wer den andern in seiner Gewalt hatte. Als Warwara Petrowna von ihrer Absicht, ein Journal herauszugeben, Mitteilung machte, strömte ihr noch mehr Volk zu; aber sofort wurde ihr auch die ebenso dreiste wie überraschende Beschuldigung ins Gesicht geschleudert, sie sei eine Kapitalistin und beute die Arbeitenden aus. Der hochbejahrte General Iwan Iwanowitsch Drosdow, ein früherer Freund und Kamerad des verstorbenen Generals Stawrogin, ein (notabene in seiner Art) sehr achtungswerter Mann, den wir alle hier kannten, ein äußerst starrköpfiger, reizbarer Mensch, der
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