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Die Dämonen

Titel: Die Dämonen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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lateinischen religiösen Formeln auftritt und sogar, wenn ich mich recht erinnere, ein Mineral, also ein ganz lebloser Gegenstand, etwas singt. Überhaupt singen alle ohne Unterbrechung, und wenn sie reden, so schimpfen sie einander in einer unbestimmten Weise, aber wieder mit einem Beiklang höchster Bedeutsamkeit. Zuletzt ändert sich die Szene wieder, und es zeigt sich eine wilde Gegend; zwischen den Felsen wandert ein zivilisierter junger Mensch umher, der irgendwelche Kräuter ausreißt und an ihnen saugt und auf die Frage einer Fee, warum er an diesen Kräutern sauge, antwortet, er fühle eine Überfülle von Leben in sich, suche Vergessenheit und finde sie in dem Safte dieser Kräuter; sein größter Wunsch aber sei, möglichst bald den Verstand zu verlieren (vielleicht ein unnötiger Wunsch). Dann kommt auf einmal ein unbeschreiblich schöner Jüngling auf einem schwarzen Rosse hereingesprengt, und ihm folgt eine unabsehbare Menge aller möglichen Völker. Der Jüngling stellt den Tod vor, und alle Völker dürsten nach ihm. Und endlich, in der allerletzten Szene, erscheint auf einmal der babylonische Turm, und eine Anzahl von Athleten baut ihn unter einem Gesange, der von neuer Hoffnung spricht, zu Ende, und als sie ihn bis zur obersten Spitze fertiggestellt haben, da läuft der Herrscher, allerdings nur der des Olymps, in komischer Weise davon, und die Menschheit, die das gemerkt hat, nimmt seinen Platz ein und beginnt sogleich ein neues Leben mit voller Erkenntnis der Dinge. Also dieses Gedicht fand man damals gefährlich. Ich habe im vorigen Jahre Stepan Trofimowitsch den Vorschlag gemacht, es drucken zu lassen, da es in unserer Zeit vollkommen harmlos sei; aber er lehnte diesen Vorschlag mit sichtlichem Mißvergnügen ab. Meine Ansicht von der vollkommenen Harmlosigkeit seines Gedichtes gefiel ihm nicht, und ich führe darauf sogar eine gewisse Kälte seinerseits gegen mich zurück, welche volle zwei Monate dauerte. Aber was geschah? Auf einmal, und fast zu derselben Zeit, wo ich ihm den Vorschlag gemacht hatte, das Gedicht hier drucken zu lassen, wurde unser Gedicht anderwärts gedruckt, nämlich im Auslande, in einem revolutionären Sammelwerke, und zwar ganz ohne Stepan Trofimowitschs Wissen. Er war anfangs sehr erschrocken, stürzte zum Gouverneur hin und schrieb einen sehr edlen Rechtfertigungsbrief nach Petersburg, las ihn mir zweimal vor, sandte ihn aber nicht ab, da er nicht wußte, an wen er ihn adressieren sollte. Kurz, er war einen ganzen Monat lang in Aufregung; aber ich bin überzeugt, daß er sich in den geheimen Falten seines Herzens höchst geschmeichelt fühlte. Er nahm das ihm übersandte Exemplar des Sammelwerkes bei Nacht mit ins Bett, versteckte es bei Tage unter der Matratze und duldete nicht einmal, daß das Dienstmädchen das Bett zurechtmachte. Und obgleich er alle Tage von irgendwoher ein unheilvolles Telegramm erwartete, machte er doch eine hochmütige Miene. Ein Telegramm kam nicht. Da versöhnte er sich auch mit mir, was von der außerordentlichen Güte seines stillen, nicht nachtragenden Herzens Zeugnis ablegt.
     
Fußnoten
     
    1 François Marie Charles Fourier, 1772-1837, phantastischer Sozialist.
    Anmerkung des Übersetzers.
     
     
II.
    Ich will ja nicht behaupten, daß er von seiten der Regierung überhaupt gar nicht zu leiden hatte; aber ich bin doch jetzt völlig überzeugt, daß er seine Vorlesungen über die Araber hätte fortsetzen können, solange es ihm beliebte, wenn er nur die nötigen Zusicherungen abgegeben hätte. Aber er ließ sich nur durch sein Ehrgefühl leiten und hatte nichts Eiligeres zu tun, als sich ein für allemal die Überzeugung zurechtzumachen, seine Karriere sei für sein ganzes Leben durch den »Wirbelsturm der Umstände« vernichtet worden. Wenn man aber die ganze Wahrheit sagen soll, so war der wirkliche Grund zu der Veränderung seines Lebensweges ein ihm schon früher gemachter und jetzt erneuerter höchst zartfühlender Vorschlag Warwara Petrowna Stawroginas, der Gemahlin eines Generalleutnants und schwer reichen Mannes, nämlich der Vorschlag, als pädagogischer Oberaufseher und Freund die Erziehung und gesamte geistige Ausbildung ihres einzigen Sohnes zu übernehmen; von dem glänzenden Gehalte wollen wir gar nicht erst reden. Dieser Antrag war ihm zum ersten Male schon in Berlin gemacht worden, und zwar gerade zu der Zeit, als er zum ersten Male Witwer geworden war. Seine erste Frau war ein leichtsinniges Mädchen aus unserm
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