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Die Daemmerung

Die Daemmerung

Titel: Die Daemmerung
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mein Volk wird weiter einem Ende entgegengehen, in dem die Feuerblume nicht mehr enthalten ist. Und so rollen dann die Tage der Großen Niederlage dahin bis
zum
Schlaf der Zeit.
Er blieb stehen.
Wir sind jetzt bei der Halle, wo Saqri wartet.
    Die riesige, dunkle zweiflüglige Tür stand offen. Der König trat hindurch, und Barrick ging mit ihm, doch keins der Wesen, die ihnen folgten, überquerte die Schwelle. Die Halle war von vielen Lichtern erhellt, aber Barricks stärkster Eindruck war das Dunkel, das trotz der Kerzen und Lampen unter den geschnitzten Deckenbalken hing — das Dunkel und die Spiegel.
    An den Wänden zu beiden Seiten der Halle erstreckte sich — so weit, dass Barick glaubte, im Gehen in einen Traum verfallen zu sein — eine Fülle von ovalen Spiegeln unterschiedlichster Größe, alle mit verschiedenen Rahmen. Jedem der Spiegel wohnten Licht und Schatten inne, und in jedem erzeugten sie etwas anderes, sodass Barrick das Gefühl hatte, nicht Spiegelungen zu sehen, sondern Fenster, die, obwohl dicht nebeneinander, auf tausend verschiedene Orte hinausgingen. Er war verwirrt und überwältigt — aber da war noch etwas. »Ich ... ich war schon mal hier.«
    Ynnir schüttelte den Kopf, antwortete jedoch zunächst nicht. Als er es dann tat, klang seine Stimme schwächer denn je. Du
warst nicht hier, Kind. Kein Sterblicher war je hier ...
    »Dann habe ich es geträumt. Aber ich weiß, dass ich es schon gesehen habe — die Spiegel, die Lichter ...« Er runzelte die Stirn. »Aber es war alles voller Gestalten, und am Ende der Halle ... am Ende der Halle ...«
    Es war alles so überwältigend gewesen, dass Barrick bis zu diesem Moment die Gestalt am anderen Ende der Halle gar nicht bemerkt hatte. Jetzt gingen er und der König auf sie zu, durch Licht, das aussah wie das eines glühend heißen Sommertags, obwohl es in der Halle kalt und auch ein bisschen zugig war. Als sie nahe genug herangekommen waren, sah Barrick, dass die Königin auf einen der beiden Thronsessel gesetzt worden war, zusammengesunken wie ein Leichnam. Der andere Thron war leer. Es schien makaber, dass der König sie dort so zurückgelassen hatte — bizarr und respektlos. Barrick überkam der Drang, hinzugehen und sie aufzurichten, sie in einer Stellung zu halten, die einem Wesen von so einzigartiger, hilfloser Eleganz angemessen war.
    »Warum ist sie ... Herr?«
    Ynnir war stehengeblieben und auf die Knie gesunken. Zuerst hatte Barrick geglaubt, es sei irgendeine rituelle Geste des Respekts oder der Trauer, doch jetzt merkte er, dass der König nach Luft rang. Barrick stürzte hin und versuchte ihm aufzuhelfen, aber der König war zu langgliedrig, und seine Schwäche war zu groß. Schließlich hockte Barrick sich einfach nur hin und hielt ihn in den Armen. Es verblüffte ihn, tatsächlich Muskeln und Fleisch unter den zerlumpten Kleidern zu fühlen. Der König war bei all seiner eigenartigen Majestät nur ein fleischliches Wesen, und er starb.
    Die Welt, die Schattenlande, selbst die Halle mit den Spiegeln schrumpften in Barricks Kopf und verschwanden. Da war nichts mehr außer dem König und ihm und seiner Entscheidung. »Ja«, sagte er. »Ich habe mich entschieden, und ich sage ... ja.«
    Der Atem des Königs ging etwas leichter.
Aber du musst dir ganz sicher sein,
erklärte Ynnir schließlich.
So etwas hat es noch nie gegeben — die Feuerblume
zu
empfangen, könnte dich töten. Und wenn sie auf dich übergeht, wird nichts sie wieder von dir nehmen außer dem Tod. Du wirst eine lebende Gedenkstätte sein, erfüllt von den Erinnerungen all meiner königlichen Vorfahren, bis zu deinem letzten Augenblick auf Erden.
    Jetzt war es an Barrick, um Atem zu ringen. »Ich verstehe«, brachte er schließlich heraus. »Ich bin mir sicher.«
    Ynnir schüttelte traurig den Kopf.
Nein, mein Sohn, du verstehst es nicht. Nicht einmal ich verstehe
zur Gänze,
was Krummling uns gegeben hat, und ich lebe schon mein ganzes langes Leben damit.
Der König erhob sich mühsam, doch als Barrick ebenfalls aufstehen wollte, schüttelte Ynnir den Kopf und bedeutete ihm, auf dem Boden sitzen zu bleiben.
Aber es war, wie es sein musste, und auch dies alles ist so, wie es sein muss — Saqri, ich, du und die Fäden törichter Entscheidungen und bizarrer Zufälle, die unsere Familien aneinander gebunden haben.
    »Was muss ich tun?« Angst überflutete Barrick, nicht vor dem Schmerz, den die Feuerblume bedeuten könnte, sondern davor, dass er Ynnir enttäuschen
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