Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Company

Die Company

Titel: Die Company
Autoren: Robert Littell
Vom Netzwerk:
entfernt hatte.
Hier herrscht die einhellige Meinung, dass AESNOWDROP seine Glaubwürdigkeit ausreichend bewiesen hat, um für eine Exfiltration in Frage zu kommen. Er wird von meiner Quelle benachrichtigt, sich achtundvierzig Stunden nach seinem letzten Treffen mit Frau und Sohn und ohne Gepäck in MALBOROUGH einzufinden.
     
    Angleton zeichnete die Meldung ab und ließ sie zum Verschlüsseln bringen. Zurück in seinem Büro, nahm er sich eine Zigarette und starrte, ohne sie anzuzünden, mit finsterer Miene vor sich hin. Für Angleton ging es bei der Spionageabwehr im Wesentlichen um Unterwanderung: um Unterwanderung der feindlichen Reihen entweder durch die Aufnahme von Überläufern wie bei dem aktuellen Fall in Berlin oder, was seltener gelang, durch Einschleusen von Agenten ins Herz des KGB, um an die Geheimnisse des Feindes heranzukommen. Und das begehrteste Geheimnis war, ob man selbst bereits vom Feind unterwandert worden war. Angletons Aufgabe war es, dafür zu sorgen, dass die Russen keinen Fuß in die Tür der CIA setzten. Und so war es gekommen, dass Mother, der sich im Zweiten Weltkrieg als Spionage-Ass des OSS, des Office of Strategic Services, des Vorläufers der CIA, einen hervorragenden Ruf erworben hatte, sämtliche Geheimoperationen überwachte, was so manch einem, darunter auch Torriti, gehörig gegen den Strich ging.
    Angletons und Torritis Wege hatten sich 1944 gekreuzt. Damals, als die Deutschen sich durch Italien nach Norden zurückzogen, war Mother, der schon mit siebenundzwanzig Jahren als Meister des Spionagefachs galt, damit betraut, Nazi-Agenten auszuheben. Torriti, der fließend den sizilianischen Dialekt sprach, hatte als Verbindungsmann zur Mafia fungiert, die den alliierten Streitkräften bei der Invasion von Sizilien und später bei den Landungen in Italien geholfen hatte. In den Monaten nach der deutschen Kapitulation trat der Zauberer für die italienischen Sozialdemokraten ein, um die Kommunisten auszubooten, die von Moskau kräftig unterstützt wurden und bei den nächsten Wahlen sehr gut abzuschneiden drohten. Angleton, nach dessen Überzeugung der Dritte Weltkrieg an dem Tag begann, an dem der Zweite zu Ende ging, war der Ansicht, dass man nur an einem Sozialdemokraten kratzen müsse und schon käme ein vom Kreml gesteuerter Kommunist zum Vorschein. Die Mehrheit der führenden Köpfe in der Washingtoner Zentrale teilte seine Ansicht, so dass die Company den Christdemokraten mit zig Millionen Dollar, mit Werbekampagnen und der einen oder anderen Erpressung unter die Arme griff und schließlich zum Wahlsieg verhalf.
    Aus Angletons Sicht war der Zauberer praxiserfahren genug, um einen Überläufer abzuwickeln, aber in einer Situation, die geopolitisches Feingefühl verlangte, war er überfordert; und er war zu beschränkt – und seit einigen Monaten zu betrunken –, um Mother »in den wilden Wald von Spiegeln« zu folgen, von dem T. S. Eliot in seinem Gedicht Gerontion spricht. Zugegeben, Torriti hatte durchaus begriffen, dass selbst falsche Überläufer richtige Geheimnisse mitbrachten, um ihre Glaubwürdigkeit zu untermauern. Aber es gab noch andere, komplexere Szenarien, die nur eine Hand voll Offiziere der Company, so vor allem Angleton, durchschauen konnten. Bei jedem Überläufer, der echte Informationen lieferte, galt es, so seine feste Überzeugung, sich stets vor Augen zu halten, dass hinter echten Informationen von großer Tragweite ein entsprechend großes Täuschungsmanöver der anderen Seite verborgen sein könnte. Wenn man das begriffen hatte, so musste man jeden Erfolg als potenzielle Katastrophe betrachten. So manche OSS-Veteranen, die für die Company arbeiteten, erfassten einfach nicht, wie doppelbödig Spionageoperationen sein konnten, und munkelten untereinander, dass Mother komplett paranoid war.
    Angletons Sprechanlage summte und riss ihn aus seinen Gedanken. Gleich darauf tauchte ein vertrautes Gesicht in der Tür auf. Es gehörte Mothers britischem Freund und Mentor, dem MI6-Verbindungsmann in Washington.
    »Schönen guten T-t-tag, Jimbo«, rief Adrian mit dem überschwänglichen Tonfall, den Angleton zum ersten Mal gehört hatte, als sie beide sich während des Krieges ein winziges Zimmer im Rose Garden Hotel an der Londoner Ryder Street teilten. Damals diente das heruntergekommene Hotel als Zentrum der gemeinsamen Operationen des amerikanischen OSS und des britischen Geheimdienstes MI6. Der Brite, fünf Jahre älter als Angleton und während des
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher