Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Chroniken der Schattenwelt: Angelos (German Edition)

Die Chroniken der Schattenwelt: Angelos (German Edition)

Titel: Die Chroniken der Schattenwelt: Angelos (German Edition)
Autoren: Gesa Schwartz
Vom Netzwerk:
doch zweifelte er nicht daran, dass sie ihr Ziel erreichen würde. Er würde ihrem Ruf folgen wie der Stimme seines Herrn. Mit einem Krächzen, das wie ein Lachen klang, flog die Krähe über die Ebene und war kurz darauf verschwunden.
    Pherodos holte Atem, es schien ihm, als täte er es seit seinem Sturz in die Schatten zum ersten Mal, und er lauschte auf den Ton, der die Luft durchdrang. Denn der Name verklang nur langsam über der Wüste des Frosts, der Name des Jungen, den die weiße Krähe finden würde: Nando Teufelssohn.

2
    Die Planke war warm und feucht unter Nandos Füßen. Leicht vibrierend führte sie von einem Fenster zum anderen über eine tiefe Häuserschlucht mitten in den Rarzedas, den ärmsten Vierteln Katnans. Nando konnte die Straße weit unter sich erkennen. Die brennenden Fässer, über denen einige finstere Gestalten aufgespießte Ratten rösteten, waren nur Funken in der Dämmerung, so hoch oben befand er sich. Dennoch reichten die heruntergekommenen Gebäude noch weiter hinauf. Windschief erhoben sie sich über ihm, sodass sein Blick kaum das trübe Zwielicht in der Schlucht durchdringen konnte.
    Konzentriere dich.
    Avartos’ Stimme ließ ihn die Augen schließen. Er holte Atem, langsam, wie der Engel es ihn gelehrt hatte, und ignorierte den Schmerz des Bannzaubers, der über seinen Schwingen lag. Die Planke war gerade schmal genug für eine Ratte, noch dazu war sie rutschig und mit rostigen Nägeln übersät. Eine falsche Bewegung und Nando würde abstürzen und sich jeden Knochen brechen.
    Darum geht es , klangen Avartos’ Worte in ihm wider. Du musst die Konsequenzen des Falls fürchten, wenn du lernen willst, das Gleichgewicht zu halten.
    Das reglose Gesicht seines Lehrers stand Nando vor Augen, als er den ersten Schritt tat. Noch einmal spürte er jede Bewegung der Planke, nahm auch den Luftstrom wahr, der die Gassen Katnans in warmen Aufwinden durchzog, und hörte die bissigen Fledermäuse, die in den Nischen der maroden Häuser kauerten und nur auf eine Gelegenheit warteten, um über ihn herzufallen. Dann drängte er die Geräusche zurück, fühlte die Kälte, die in Avartos’ Augen lag, und ließ kühle Konzentration in seine Glieder strömen. Die Welt um ihn herum überzog sich mit Eis, und kurz sah er sich selbst von außen, eine schmale Gestalt mit gefesselten Schwingen, die durch die Dämmerung ging. Langsam tastete er sich voran, und als helleres Licht über sein Gesicht glitt, wusste er, dass er die Mitte der Schlucht erreicht hatte. Rasch erstickte er die aufsteigende Euphorie, um sich darauf zu konzentrieren, sein Gleichgewicht zu halten.
    Emotionen sind menschlich , sagte Avartos in seinen Gedanken, und Nando sah es vor sich, das spöttische Lächeln, das der Engel bei diesen Worten stets auf seine Züge legte. Wenn du nicht aufpasst, werden sie dich schwächen. Die Schatten wissen das. Sieh hin – sie lauern!
    Nando öffnete die Augen nicht, aber er hörte den ledrigen Schwingenschlag, der plötzlich die Luft zerriss, und ehe die Fledermaus ihn verwunden konnte, stieß er sich von der Planke ab, drehte sich rasend schnell um die eigene Achse und schleuderte sie mit einem Wirbelschlag seines metallenen Arms zur Straße hinab. Ihr heiserer Schrei hallte in der Schlucht wider, als sie zwischen den Häusern verschwand und Nando mit wehendem Mantel auf der Planke landete. Sein Herzschlag hatte sich beschleunigt, ein Umstand, an dem er arbeiten musste. Ohne jeden Zweifel hätte Avartos ihm das gesagt, wenn er tatsächlich hier gewesen wäre. Der Engel verstand sich darauf, ihn streng und schonungslos in Magie und Kampfkunst zu unterweisen, doch Lob war nicht seine Sache, und Nando war schon froh, wenn er mitunter einen leichten Schimmer von Achtung über das Gesicht seines Lehrers gleiten sah. Vielleicht würde er es mit der Zeit fertigbringen, in Avartos’ goldenen Augen zu lesen, wie es ihm schon einmal gelungen war … bei einem anderen Engel. Die Planke unter ihm zitterte leicht, und er ballte kurz die Fäuste. Jetzt war nicht die Zeit für Gedanken dieser Art.
    Vorsichtig setzte er seinen Weg fort, aber die Kälte wich mitsamt seiner Konzentration aus seinen Gliedern, ohne dass er es verhindern konnte. Überdeutlich spürte er die rostigen Nägel unter seinen Füßen und den Schmerz in seinen Schwingen, und trotz aller Bemühungen konnte er sich nicht gegen die Bilder wehren, die diese Erinnerung in ihm wachgerufen hatte. Es waren Bilder einer Stadt, die in die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher