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Die Chroniken der Schattenwelt: Angelos (German Edition)

Die Chroniken der Schattenwelt: Angelos (German Edition)

Titel: Die Chroniken der Schattenwelt: Angelos (German Edition)
Autoren: Gesa Schwartz
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zweifelte nicht daran, dass auch Raar keines davon vergessen hatte. Doch wie Ligur und Pherodos war auch er ein König der Nacht gewesen – und kein König gab seine Macht zurück, wenn er sie einmal erlangt hatte.
    Sie standen sich gegenüber, während der Morast um sie herum zu keuchendem Leben erwachte, glühende Funken sich in den Schatten sammelten und grollender Donner vom kommenden Regen kündete. Keiner von ihnen rührte sich, selbst ihre Reittiere verharrten wie erstarrt. Für einen Moment durchpulste Pherodos erneut der Schmerz von Ligurs Gift, und er erinnerte sich an die Feinde Raars und wie es ihnen ergangen war. Er hatte ihre Leiber zum Faulen gebracht mit nicht mehr als einem lächerlichen Klopfen seines Stabes, hatte ihre Augen ausgebrannt durch einen Schwingenschlag seines Geiers, und selbst die Unsterblichen unter ihnen hatten ihn mit den Resten ihres Verstandes angefleht, ihnen die ewige Vernichtung zu schenken, weil das, was er ihnen hinter seiner Maske gezeigt hatte, zu schrecklich war. Pherodos kannte seine eigene Macht, aber er spürte auch die Stärke dieser beiden, und ihm kam der Gedanke, dass sie für immer an diesem Ort bleiben würden, in unendliche Kämpfe verstrickt. Es gab Schlimmeres für ihn, als in ewigem Krieg zu entbrennen, aber als Ligur die Finger spreizte und Raar den Stab hob, rief er sich das Gold seines Fürsten vor Augen. Ihr Herr hatte sie nicht grundlos gerufen. Sie sollten zusammen in die Schlacht reiten, so hatte er es beschlossen. Aber einer musste befehlen, wenn sie sich nicht zerfleischen sollten, und Pherodos würde nicht zurückweichen – weder vor einer Maske noch vor einem Kind.
    Jeder Muskel seines Körpers war angespannt, als sich die Stille über sie senkte – die Stille vor dem ersten Schlag. Der Wind verstummte, die Toten erstarrten erneut, der Donner schwieg. Er konnte die Macht spüren, die in Ligurs Fingern lauerte, fühlte auch die Grausamkeit hinter Raars Maske, und ihn durchpulste seine eigene Glut, begierig darauf, sich aus seiner Faust zu ergießen. Überdeutlich sah er Ligurs Hände zucken, er hörte das Rascheln von Raars Umhang, und gleich darauf zog sich die Reglosigkeit über ihre Körper und sie standen da wie Götter aus lang vergangener Zeit, dazu bestimmt, in einer verfluchten Wüste zu verharren und einander mit ihren Blicken zu bannen. Pherodos spürte sein Herz nicht mehr, es schien, als wäre es ebenso erstarrt wie sein Körper. Einzig ihre Augen bewegten sich noch, und sosehr sie sich sonst voneinander unterschieden, so einig waren sie nun in der Entschlossenheit, die in ihnen entbrannt war. Nichts anderes war mehr von Bedeutung als der erste Schlag. Etwas Erhabenes lag in dieser Stille, jeder trachtete danach, sie als Erster zu durchbrechen – und umso stärker fuhren alle drei zusammen, als sie von einer Bewegung jenseits ihres Kreises zerrissen wurde, langsam, als zöge sich eine scharfe Kralle über eine Leinwand.
    Ein einzelner Windhauch glitt über Pherodos’ Wange. Er traf ihn wie eine Totenhand, und im selben Moment wusste er, wer sich näherte. Doch kaum war dieser Gedanke in ihm aufgetaucht, ging ein Flüstern durch die Luft und belehrte ihn eines Besseren. Zu sanft und verführerisch war dieses Raunen, als dass es ihm bekannt hätte sein können. Es kam von überall zugleich, ebenso wie die glühende Kälte, die nun mit zärtlicher Grausamkeit seine Beine hinaufkroch und den Morast mit Raureif überzog. Pherodos wandte den Blick und erkannte in einiger Entfernung einen schneeweißen Schemen. Ein mächtiger Tiger war es mit langen schwarzen Zähnen, die scharf waren wie Dolche. Still verharrte das Tier und schaute zu ihnen herüber, und etwas wie Erstaunen strich über Pherodos’ Stirn. Ein Arochai beobachtete sie, ein Urahn der Uthu, jener katzenhaften Dämonenwesen, die es selbst in den tiefsten Schatten kaum noch gab. Wieder traf ihn die Kälte, er sah Ligur aus dem Augenwinkel schwanken, und da ging ein Beben durch den Boden, das sie alle drei fast von den Füßen riss. Gleich darauf brach die Erde in ihrer Mitte auf, und etwas schob sich aus ihrem Inneren. Eine Frau war es, zusammengekauert und mit Schlamm besudelt. Knöchellanges Haar klebte an ihrem Körper, Pherodos konnte bei all dem Schmutz zunächst kaum ihre Gestalt erkennen, und doch starrte er sie an wie eine Erscheinung. In unwirklich geschmeidigen Bewegungen richtete sie sich vor ihm auf.
    Sie war nackt. Der feuchte Schlamm ließ ihren schlanken
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