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Die Chorknaben

Die Chorknaben

Titel: Die Chorknaben
Autoren: Joseph Wambaugh
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unnachgiebigen Wänden fest.
    Er trat auf den Körper, seine vom Alkohol geschwächten Beine gaben unter ihm nach, und er stürzte auf den Körper. Er schrie erneut auf.
    »Harold! Harold!« brüllte Sam. Und er roch Fischsoße und Knoblauch und preßte sein Gesicht gegen die glitschige Wand und erwartete die Schrecken des Flammenwerfers.
    Und dann heulte und brüllte er los: »Harold! Harold!« Aber anstatt zu sagen: »Ist ja schon gut. Ist ja schon gut. Sei schön still, ich bin ja bei dir. Du bist nicht allein«, sagte der Körper neben ihm nichts. Er war nämlich tot. Es war Baxter Slate! Während Roscoe Spermwhale Whalen lachend meldete, daß er Sam Niles schlafend im Wagen vorgefunden hatte, flehte Sam Niles: »Baxter! Baxter! Baxter!« Aber der Körper neben ihm gab keine Antwort. Zumindest nicht in einer menschlichen Zunge. Er sagte nur: »Mmmmmmmmmmmmmmmm. Mmmuuuuuuuuuuuhh.« Die Schädelplatte von Baxters Kopf hatte sich abgelöst und knirschte unter Sam Niles' Schuhen, als er gegen die Tür des Wagens zurückwich, sein Kopf wegen des niedrigen Dachs gebeugt, sein Gesicht von der zerbrochenen Brille blutend. Er kreischte. Er konnte nicht mehr atmen.
    Aber die einzige Person, die diese entsetzten Schreie hören konnte, war ein junger Bursche namens Alexander Blaney, der genug Mut aufbrachte, auf die Rückseite des Transporters zuzueilen und dem kreischenden Polizisten die Tür zu öffnen. Währenddessen sagte im Kreis der Chorknaben Harold Bloomguard: »Was habt ihr gemacht?«
    »Wir haben ihn in den Transporter gelegt«, erklärte Roscoe.
    »Habt ihr die Tür zugemacht?«
    »Ja, wieso?«
    »Sam kann es nicht ertragen, irgendwo eingeschlossen zu sein. Ich geh' mal besser nachsehen!« Aber bevor er den Transporter erreichte, stand Alexander Blaney bereits an der Hintertür des Wagens und versuchte, den rostigen Riegel zu lösen, während Sam Niles im Innern sein blutiges Gesicht in seinen Händen barg, wie eine Frau kreischte und hoffnungslos der Leiche zu entkommen versuchte, die Baxter Slate war. Und der ›Stöhnende Mann‹. Der zu atmen versuchte.
    Dann griff Sam nach der M-14, die jedoch nicht da war. Instinktiv faßte er als nächstes nach seinem Gürtel, wo seine private 38er Smith and Wessen steckte; die war an Ort und Stelle. Die donnernden Explosionen begannen genau in dem Augenblick, als die rechte Tür aufging. Die ersten beiden Geschosse verfehlten Alexander Blaney um mindestens dreißig Zentimeter. Das dritte fuhr genau in seine Kehle. Auch das vierte und fünfte hätten ihn getroffen, wäre er nicht zu Boden gestürzt, um sich, vergeblich nach Luft schnappend, an die Kehle zu fassen. Spencer van Moot kroch durch die Tür ins Freie. Er hielt sich die Ohren zu und schrie noch lauter als Sam Niles.
    Und dann spürte Sam Niles, wie Harold Bloomguard ihn aus dem Transporter zog, ins Gras setzte und in die Arme nahm. Roscoe Rules stand über dem zuckenden Körper von Alexander Blaney und sagte: »Es ist ein Schwuler! Er hat einen Schwulen abgeknallt!« Und dann fand sich Roscoe so schnell auf seinem Arsch wieder, daß er nicht einmal überrascht zu sein schien. Spermwhale Whalen, der ihn zur Seite gestoßen hatte, kniete auf dem Boden und griff in Alexander Blaneys Mund, um die angeschwollene Zunge herauszuziehen.
    Und dann saß Spermwhale im Gras und hielt den jungen Burschen wie ein Baby, wobei er ihm seinen heißen Löwenatem in den Mund blies und hin und wieder auf den schmalen Brustkorb des Jungen klopfte und ihm gut zuredete: »Komm schon, mein Junge! Komm schon! Schön atmen!« Alexander Blaney hatte sehr schnell aufgegeben. Als sich ihm der Tod anbot, nahm ihn der einsame Junge sofort an.
    Trotzdem versuchte Spermwhale immer noch beharrlich, Alexander seinen eigenen, unbeugsamen Lebenswillen aufzuzwingen. Das meiste davon fuhr in die Brust des Jungen; ein Teil schäumte auch durch das Loch in seiner Kehle wieder nach draußen.
    Erst nach fünf Minuten sah Spermwhale Whalen auf, Gesicht und Arme und Hände von Blut verschmiert, sein fast kahler Schädel schimmerte feucht und seine weißen Augen glänzten im Mondlicht. Wäre der träge Mond schon aufgegangen, als Sam Niles sich in die Finsternis verkrallte, hätte er vielleicht durch das Fenster des Transporters geschienen und hätte den betrunkenen Chorknaben wieder zur Besinnung gebracht. Als Spermwhale schließlich aufstand und den reglosen Körper im Gras liegen ließ, begannen mehrere Chorknaben, im Kreis zu gehen und unzusammenhängend
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