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Die Capitana - Roman

Die Capitana - Roman

Titel: Die Capitana - Roman
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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Mika direkt an und erzählte ihr, was ich in ihrem Buch gelesen hatte. Ich nannte den Artikel »Offener Brief an Mika Etchebéhère«. Das war ein Mittel, ihre Geschichte den Lesern nahezubringen. Man bildet ein Gefüge aus Worten, und irgendwann bilden die Worte einen selbst: die zweite Person verschaffte mir eine Nähe, die ich bis dahin nicht hatte. Und Mut. Mika lebte damals noch, aber ich hatte niemals erwogen, mit ihr in Kontakt zu treten, eine so große, mutige Frau, die so gar nichts mit mir zu tun hatte? Was hätte ich ihr sagen wollen? Es war nur eine flüchtige Idee, und sie setzte sich erst in mir fest, als ich eine Reise nach Barcelona unternahm. Ich hatte es nicht geplant, sonst hätte ich mich vor meiner Abreise in Buenos Aires besser informiert. Ich wusste nur, dass sie in Saint-Sulpice wohnte. Ich hatte drei freie Tage. Und stieg in den Zug nach Paris.
    Die Place Saint-Sulpice hat 8 Hausnummern. Elf Uhr vormittags war eine gute Uhrzeit, um einen Portier anzutreffen. Ich sprach mit zweien, aber keiner von ihnen kannte Madame Etchebéhère. Am Nachmittag kam ich wieder und setzte meine Suche fort, diesmal in der Rue Saint-Sulpice. Ich ging an der Hausnummer 4 vorbei. Dort lagerten noch ihre Papiere – mit denen dann so viel geschehen sollte –, doch damals wusste ich von ihrer Existenz noch nichts. Zu schade, dass Conchita nicht in dem Augenblick auf die Straße trat, sie hätte mir die Adresse von Mikas Altersheim geben können. Und ich hätte die Möglichkeit gehabt, sie zu sehen, wenigstens ein einziges Mal, und mit ihr zu reden.
    Für mehrere Jahre geriet Mikas Geschichte in Vergessenheit.
    Ich lebte in Madrid, als ich 1994 Arnold Etchebéhère kennenlernte, Hipólitos Neffen. Mika war zwei Jahre zuvor gestorben. Wir redeten über Mika, aber auch über Literatur, über Politik, Geschichte, Kinofilme, über Argentinien, Spanien und Nicaragua. Einige Male traf ich auch Pepe Lamarca, ein in Spanien lebender argentinischer Fotograf, der mich auf Fährten brachte, die ich in den nachfolgenden Jahren weiter verfolgen sollte. Mika gewann nach und nach an Konturen, aber sie war für mich immer noch die Figur aus ihrem Buch, bis Arnold mir eines Nachmittags ein paar Dokumente zeigte: Mikas Totenschein, die Urkunde, die man ihr in den Fünfzigerjahren in Paris ausgestellt hatte, mit der amtlichen Bestätigung, dass Hipólito in Sigüenza gestorben war. Es war ein sehr bewegender Moment, als ob ich dadurch, dass ich diese Papiere sehen und anfassen konnte, damit konfrontiert worden wäre, dass es sie wirklich gegeben hatte. Stempel, irgendwelche Menschen, die ihre Schritte durch die Welt legalisiert hatten. Ihr Name: Micaela Feldman (bis zu dem Zeitpunkt kannte ich nur den Nachnamen Etchebéhère). Ein Geburtsdatum, ein Ort, die Namen ihrer Eltern. An dem Tag nahm die Idee, ein Buch über Mika zu schreiben, erneut Gestalt an. Ich hatte viele Frage, die Arnold mir nicht beantworten konnte (er hatte Mika erst in den Siebzigerjahren kennengelernt), aber er gab mir die Namen und Telefonnummern von Mikas Freunden in Paris.
    Das war der erste Faden eines riesigen Knäuels, das ich nicht mehr loslassen sollte und bis heute immer weiter aufrolle. Andere Leute halfen mir auf diesem Weg, ihnen allen gilt mein Dank.
    Die China Botana stimmte 1995 einem Interview mit mir zu, sagte mir dann aber doch ab, weil ein Onkel meines Vaters, der Senator gewesen war, sich vor 60 Jahren ein Duell mit ihrem Mann geliefert hatte. Ich weiß von dieser Episode nichts, so schlimm kann es nicht gewesen sein, denn beide haben überlebt. (Der Leser sei daran erinnert, dass diese Anmerkung nicht fiktiv ist). Aber ich bin sehr ausdauernd. Ich ließ ein paar Jahre verstreichen und rief sie 2006 noch einmal an. Ich nannte ihr nur kurz meinen Namen und den Grund, warum ich sie sehen wollte. Sie empfing mich bei sich zu Hause bei Tee und Gebäck, und sie war so reizend, mir ein Foto von Mika zu schenken, neben ein paar köstlichen Anekdoten. Wir unterhielten uns länger über ihren Sohn, den von mir so sehr geschätzten Copi, der sich sehr gut mit Mika verstanden hatte, und sie zeigte mir ein paar Ausgaben von La femme assise und einen von Mika gestalteten Umschlag eines Rezeptbuchs, das die China konzipiert hatte.
    Conchita Arduendo, die Mika im Haushalt half, sah ich zwei Mal im Abstand von zwölf Jahren. Einige ihrer Geschichten waren mir mit der Zeit wieder entfallen, aber das Bild, wie sie Mikas Leichnam auf dem Friedhof segnete, ist mir
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