Die Buecherfluesterin
Gita! Was ist mit… du weißt schon?«
Gita hebt die Hand. » Moment, Ma! Ich erzähle es ihr gleich.«
» Was willst du mir erzählen?«, erkundige ich mich.
» Setz dich erst mal hin.« Gitas Lächeln ist ein wenig zu fröhlich. Sie schiebt mich auf meinen Stuhl. Doch ich finde keine bequeme Haltung. Das Holz ist hart und kalt.
» Jasmine sieht müde aus, oder?«, sagt Ma. Gemeint ist: Jasmine arbeitet zu viel. Sie sollte mehr Zeit mit ihrer Familie verbringen. Wenn meine Mutter mich ermahnen möchte, spricht sie meiner Schwester gegenüber gern in der dritten Person über mich.
Gita nimmt uns gegenüber Platz. » Also, Jasmine, wie läuft es bei dir? Was tut sich mit diesem Blödmann? Ist jetzt alles geregelt, oder führt Rob sich noch immer auf wie ein Arschloch?«
» Gita! Keine Kraftausdrücke.« Ma ringt nach Luft.
Gita verdreht die Augen. » Okay, führt er sich noch immer auf wie ein Scheißkerl? Sicher bist du froh, dass du ihn los bist.«
Ma runzelt die Stirn.
Ich lächle, obwohl es mir fast das Herz zerreißt. » Ich bin frei. Und es geht mir… prima.« Gita meint es gut, hat aber keine Ahnung, wie es ist, die Sachen des eigenen Ehemannes in Kartons zu verpacken und ständig über seine Hinterlassenschaften zu stolpern– eine Rechnung von der Reinigung, eine Einkaufsliste, hingekritzelt in seiner geneigten Handschrift, eine halbe Flasche von seinem Lieblingswein.
Ma seufzt tief auf. » Kommt, wir wollen essen. Wir haben alle Hunger.«
Gita hat ein Menü, bestehend aus einem aromatischen Mangochutney, Fischcurry und aloo gobi, mein Lieblingsessen, gekocht. Von allen bengalischen Gerichten, die sie beherrscht, mag ich diese Mischung aus Kartoffeln und Blumenkohl in Currysauce besonders gern. Ein würziger Duft– Koriander, Knoblauch, Ingwer, Zwiebeln, grüne Chilis und Kurkuma– liegt in der Luft. Mir läuft das Wasser im Mund zusammen, und ich freue mich, dass ich diese schlichten Freuden noch genießen kann.
Die delikaten Gerüche transportieren mich zurück nach Indien. Ins staubige, lärmende Kalkutta mit seinen Menschenmassen und dem Rascheln von Saris. Ich sollte das Land meiner Geburt wieder einmal besuchen, denn ich bin seit fast zehn Jahren nicht mehr dort gewesen. Vielleicht finde ich dort einen passenderen Partner– einen treuen bengalischen Traummann. Allerdings bezweifle ich, dass er existiert, außer vielleicht in der Phantasie meiner Mutter.
Sie häuft Essen auf die Teller, während Dad den Whiskey kreisen lässt und Gita Reis und Curry in sich hineinschaufelt. Sie ist keine sehr manierliche Esserin.
» Und wann erfahre ich jetzt endlich, was bei dir los ist, Gita?«, frage ich. Das Wasser in meinem Glas ist lauwarm.
Plötzlich ist eine Stille entstanden.
» Dilip und ich heiraten«, antwortet Gita schließlich mit vollem Mund.
Dad tippt mit dem Glas an seinen Teller. » Endlich, wurde auch langsam Zeit.«
» Dad! Wir leben erst seit einem Jahr zusammen.« Gitas Oberlippe zittert wie immer, wenn sie die Wut unterdrücken muss.
» Ein Jahr!« Dad lacht auf. » Wie oft sind deine Mutter und ich vorher zusammen ausgegangen?«
» Dreimal«, erwidert meine Mutter. » Und unsere Eltern waren immer dabei.«
Gita bohrt die Gabel in den Fisch. » Die Zeiten haben sich geändert. Heutzutage ist es ganz normal zusammenzuleben.«
Ma richtet ihre Serviette neben dem Teller aus. Ihre Augen leuchten. » Wir sind mit der Planung beschäftigt. Es gibt schließlich viel zu tun.« Sie sieht mich forschend an, als bitte sie mich um die Erlaubnis, sich auf die Hochzeit freuen zu dürfen. » Gita und Dilip würden gerne hier heiraten…«
» Auf der Insel, in der Island Church«, fällt Gita ihr ins Wort. » Wir stellen gerade die Gästeliste zusammen. Hoffentlich vergesse ich niemanden. Der Empfang findet draußen im Park mit Blick auf das Wasser statt. Wir kombinieren Osten und Westen. Vielleicht ziehe ich ja einen Sari an, wenn ich einen guten finde. Jasmine, du musst mit mir und Ma Saris kaufen gehen.«
Der Essensberg auf meinem Teller ist plötzlich unbezwingbar hoch geworden. Es hat mir den Appetit verschlagen. » Wann habt ihr das alles beschlossen?
Gita wirft Ma einen Blick zu. » Vor ein paar Tagen. Wir wollten noch warten, bis wir es dir sagen, weil du zurzeit so viel um die Ohren hast. Die Tante weiß es auch noch nicht. Du freust dich doch für mich, oder?«
» Natürlich freue ich mich für dich.« Allerdings weiß ich nicht, ob die Tränen in meinen Augen
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