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Die Brüder Karamasow

Die Brüder Karamasow

Titel: Die Brüder Karamasow
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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vorhin eine Brotrinde in die Hand genommen hatte und daß sie in seiner Tasche steckte. Er holte sie heraus, und erst nachdem er sich von ihrem Vorhandensein überzeugt hatte, beruhigte er sich.
    »Iljuschetschka hat es so befohlen!« sagte er erklärend zu Aljoscha. »Er lag einmal in der Nacht da, und ich saß neben ihm, da sagte er auf einmal: ›Papachen, wenn mein Grabhügel aufgeschüttet ist, dann zerkrümele bitte auf ihm eine Brotrinde, damit die Spatzen herbeifliegen. Ich werde hören, wie sie geflogen kommen, und es wird mir eine Freude sein, daß ich nicht so allein daliege.‹«
    »Das ist sehr hübsch«, sagte Aljoscha. »Da muß man öfter Brot hinbringen.«
    »Alle Tage, alle Tage!« erwiderte der Stabskapitän eifrig; dieser Gedanke schien ihn richtig zu beleben.
    Endlich waren sie in der Kirche angelangt, und der Sarg wurde in der Mitte niedergesetzt. Alle Jungen stellten sich um ihn herum und blieben so während des ganzen Gottesdienstes artig stehen. Es war eine alte, ziemlich arme Kirche, viele der Heiligenbilder hatten gar keine Einfassungen; aber gerade in solchen Kirchen betet es sich am besten. Während der Messe schien Snegirjow etwas stiller zu werden, obgleich von Zeit zu Zeit immer wieder die unbewußte und zwecklose Geschäftigkeit bei ihm durchbrach: Bald trat er an den Sarg, um die Leichendecke zurechtzuziehen oder das Stirnband des Toten in Ordnung zu bringen; wenn eine Kerze aus dem Leuchter gefallen war, stürzte er hin, um sie wieder aufzustellen, und machte sich damit sehr lange zu schaffen. Darauf beruhigte er sich wieder und stand demütig mit sorgenvollem und fast verständnislosem Gesicht am Kopfende des Sarges. Nach der Verlesung der Epistel flüstere er dem neben ihm stehenden Aljoscha zu, die Epistel sei nicht richtig vorgelesen worden, ohne allerdings zu erklären, was er eigentlich meinte. Bei dem Cherubimlied fing er an mitzusingen, aber nicht bis zu Ende; er ließ sich vielmehr auf die Knie nieder, drückte die Stirn auf den steinernen Fußboden der Kirche und lag so ziemlich lange. Endlich kam das Totenamt an die Reihe, und die Kerzen wurden verteilt. Der kaum noch zurechnungsfähige Vater wollte schon wieder in seine sinnlose Geschäftigkeit verfallen, doch das ergreifende Totenlied erweckte und erschütterte seine Seele. Er krümmte sich auf einmal mit dem ganzen Körper zusammen und begann in häufigen, kurzen Stößen zu schluchzen; anfangs suchte er dabei seine Stimme zu unterdrücken, zuletzt aber heulte er laut. Als dann die Teilnehmer der Beerdigung von dem Toten Abschied nehmen und der Sarg geschlossen werden sollte, umfaßte er diesen mit den Armen, als wollte er den Deckel nicht auf Iljuschetschka legen lassen, und bedeckte die Lippen seines toten Kindes mit heißen Küssen, er konnte sich nicht losreißen. Endlich ließ er sich überreden aufzuhören. Er wurde schon die Stufe hinabgeführt, wo der Sarg stand, als er plötzlich hastig die Hände ausstreckte und ein paar Blumen nahm, die im Sarg lagen. Er sah sie an, und eine neue Idee schien in ihm zu reifen, so daß er die Hauptsache offenbar für einen Moment vergaß. Allmählich versank er in Gedanken und widersetzte sich nicht mehr, als der Sarg hochgehoben und zur Grabstelle getragen wurde. Diese war nicht weit; sie lag innerhalb der Einfriedung, dicht an der Kirche. Sie war teuer, Katerina Iwanowna hatte sie bezahlt. Nach der üblichen Zeremonie ließen die Totengräber den Sarg in die Gruft hinab. Snegirjow beugte sich mit seinen Blumen in der Hand so weit über das offene Grab, daß die Jungen ihn erschrocken am Überzieher packten und zurückzuziehen versuchten. Er schien jedoch nicht mehr recht zu verstehen, was vorging. Als man den Hügel aufzuschütten begann, wies er mit sorgenvoller Miene auf die aufgeworfene Erde, sagte auch etwas, doch niemand konnte es verstehen, und er verstummte sofort wieder. Da erinnerte man ihn daran, die Brotrinde zu zerkrümeln. Er geriet in furchtbare Aufregung, holte die Rinde hervor, zerbrach sie und streute die Krümchen auf den Grabhügel. »Nun kommt herbeigeflogen, ihr Vögelchen, kommt herbei, ihr kleinen Spatzen!« murmelte er eifrig. Einer der Jungen machte ihn darauf aufmerksam, daß es ihm sicher recht unbequem sei, mit den Blumen in der Hand das Brot zu zerbrechen; er möchte sie doch solange jemand zum Halten geben. Aber er tat das nicht und wurde sogar ängstlich, als ob man ihm seine Blumen wegnehmen wollte. Nachdem er das Grab lange betrachtet und
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