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Die Brüder Karamasow

Die Brüder Karamasow

Titel: Die Brüder Karamasow
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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Augenblicke, indem er Iljuscha ansah. Er hatte, schon als Iljuscha noch lebte, die Gewohnheit gehabt, zu ihm liebkosend »Väterchen, liebes Väterchen!« zu sagen.
    »Papachen, gib auch mir ein Blümchen! Nimm es ihm aus der Hand, dieses weiße da, und gib es mir!« bat das »Mamachen« schluchzend. Ob ihr nun die kleine weiße Rose, die Iljuscha in der Hand hielt, so gefiel oder ob sie gern eine Blume aus seinen Händen zur Erinnerung haben wollte, jedenfalls geriet sie mit dem ganzen Körper in unruhige Bewegung und streckte die Hände nach der Blume aus.
    »Ich werde sie niemandem geben! Niemandem werde ich etwas geben!« rief Snegirjow schroff. »Es sind seine Blumen, und nicht deine. Alles gehört ihm, nichts gehört dir!«
    »Papa, geben Sie doch Mama die Blume!« bat Ninotschka, die auf einmal ihr tränennasses Gesicht hob.
    »Niemandem werde ich etwas geben, und ihr am wenigsten! Sie hat ihn nicht geliebt. Sie hat ihm damals die kleine Kanone weggenommen, und er hat sie ihr geschenkt!« rief der Stabskapitän und schluchzte plötzlich laut auf in Erinnerung daran, wie Iljuscha damals seine kleine Kanone der Mama überlassen hatte. Die arme Frau bedeckte das Gesicht mit den Händen und weinte stille Tränen.
    Da die Jungen sahen, daß der Vater den Sarg nicht freigab, und es inzwischen Zeit geworden war, ihn hinauszutragen, umringten sie endlich in einem dichten Haufen den Sarg und wollten ihn hochheben.
    »Ich will ihn nicht auf dem Kirchhof begraben!« schrie Snegirjow. »Er soll an dem Stein begraben werden, an unserem lieben Stein! So hat es Iljuscha gewollt. Ich lasse ihn nicht auf den Kirchhof tragen!«
    Er hatte auch früher, die ganzen drei Tage, immerzu davon geredet, daß der Tote an dem Stein begraben werden sollte, doch hatten viele dagegen Einspruch erhoben: Aljoscha, Krassotkin, die Hauswirtin, deren Schwester und alle Kameraden.
    »Was ist das für ein Einfall! An dem ungeweihten Stein soll er begraben werden wie ein Selbstmörder!« hatte die alte Wirtin in strengem Ton gescholten. »Dort auf dem Kirchhof ist die Erde geweiht. Dort wird man für ihn beten. Der Gesang aus der Kirche wird bis zu seinem Grab zu hören sein, und der Diakon liest so laut und deutlich, daß es immer bis zu dem Jungen dringen wird, als ob die Gebete über seinem Grabhügel gelesen würden.«
    Der Stabskapitän machte schließlich eine resignierte Handbewegung, welche etwa besagte. ›Tragt ihn, wohin ihr wollt!‹ Die Jungen hoben den Sarg hoch. Als sie ihn an der Mutter vorbeitrugen, machten sie einen Augenblick halt und stellten ihn hin, damit sie von Iljuscha Abschied nehmen konnte. Als sie jedoch nun das teure Gesichtchen in der Nähe erblickte, das sie die ganzen drei Tage lang nur aus einer gewissen Entfernung hatte sehen können, ging eine Erschütterung durch ihren ganzen Körper, und sie begann ihren grauen Kopf krampfhaft über dem Sarg hin und her zu bewegen, nach vorn und nach hinten.
    »Mama, segne ihn, küsse ihn!« rief ihr Ninotschka zu. Die Mama aber zuckte wie ein Automat immer nur mit dem Kopf und schlug sich plötzlich, ohne ein Wort zu sagen, mit schmerzverzerrtem Gesicht mit der Faust gegen die Brust. Der Sarg wurde weitergetragen. Ninotschka berührte den Mund des toten Bruders zum letztenmal mit ihren Lippen, als er bei ihr vorbeigetragen wurde. Aljoscha wandte sich, als er das Haus verließ, mit der Bitte an die Hauswirtin, sie möchte nach den Zurückbleibenden sehen; sie ließ ihn jedoch nicht ausreden: »Selbstverständlich! Ich werde bei ihnen bleiben, wir sind ja doch auch Christen.« Bei diesen Worten fing die alte Frau an zu weinen. Die Träger des Sarges hatten es bis zur Kirche nicht weit, kaum mehr als dreihundert Schritte. Es war ein klarer, windstiller Tag; es fror, aber nur wenig. Die Glocke läutete immer noch. Snegirjow in seinem alten, kurzen Sommerüberzieher, mit bloßem Kopf, in der Hand seinen alten breitkrempigen, weichen Hut, lief geschäftig und fassungslos hinter dem Sarg her. Er war in ständiger Sorge: Bald streckte er die Hand aus, um das Kopfende des Sarges zu stützen, und störte dadurch nur die Träger, bald lief er nebenher und suchte eine Möglichkeit, wie er behilflich sein könnte. Wenn eine Blume in den Schnee fiel, stürzte er sofort hin, um sie aufzuheben, als ob vom Verlust dieser Blume Gott weiß was abhing.
    »Die Brotrinde! Die Brotrinde haben wir vergessen!« rief er auf einmal erschrocken. Doch die Knaben erinnerten ihn sogleich, daß er schon
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