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Die brennende Gasse

Die brennende Gasse

Titel: Die brennende Gasse
Autoren: Ann Benson
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in all diesen Fällen hatte das Schicksal ihr den Patienten schon geschädigt gebracht; sie konnte ihre Gaben dann nur noch benutzen, um für den glimpflichsten Ausgang zu sorgen.
    Aber bei Anonymus, wie sie ihn inzwischen bei sich nannte, lag die Sache anders. Ihn zu töten war eine Entscheidung gewesen, und Janie mußte zu der Überzeugung gelangen, weise entschieden z u h aben – sonst konnte sie unmöglich weitermachen. Ihm einen Namen zu geben, hatte es nicht leichter gemacht, das Gewicht ihrer Schuld abzuschütteln. Er tobte so lebhaft durch ihre Träume, wie sie sich Carlos Alderón im Schlaf von Alejandro Canches vorstellte, und als der Frühling erschien, suchte sie immer häufiger Trost auf den Seiten seines alten Journals.
    Nachrichten von draußen kamen spärlich und unregelmäßig. Alle paar Tage leuchtete Virtual Memorial auf, und der Bildschirm verkündete Neuigkeiten. Dann versammelten sich alle in sehnsüchtiger Erwartung irgendeiner Verbesserung der Zustände um ihn. Die Mitteilungen waren nie ganz gut oder ganz schlecht. Minnesota berichtete am häufigsten; denn die zupackenden skandinavisc hen Landsleute, die dort lebten, bauten schon wieder ihre Gemeinden auf.
    Janie wußte, warum die Todesrate dort niedriger lag als überall sonst. Und das wußten auch die anderen in Camp Meir. Vor allem Caroline.
    Sie hatten nämlich schon einmal diese tödliche Seuche besiegt.
    KAPITEL 37
    D ie weiße Brücke sah genauso aus wie vor zehn Jahren. Er hatte mit Eduardo Hernandez oben gestanden und auf die schwärzlichen Leichen hinuntergesehen, die in den faulen Wassern der Rhone schwammen. Ihre Gesichter sahen gequält und ihre Hälse geschwollen aus, und durch ihre Totenmasken hindurch schrien sie danach, zur Ruhe gebettet zu werden. Aber es gab nicht genug Lebende, um sie einzusammeln, nicht genug Gräber, um sie aufzunehmen, nicht genug Priester, um Gebete über ihnen zu murmeln. Die Gefühle jener Tage trafen Alejandro von neuem wie ein Keulenschlag, schwer und lähmend, und er hielt sein Pferd an, wie er und Hernandez es vor so langer Zeit getan hatten.
    Damals quälte ihn grauenvolle Angst – genau wie heute; doch es war eine andere Art von Angst, die ihn an diesem grauen Tag in ihren Fängen hielt. Bei der ersten Überquerung der Brücke hatte er sich vor dem Leben fern seiner schützenden Familie gefürchtet, vor der Reise – hatte nicht gewußt, was vor ihm lag. Es stand in den Sternen, ob er Manns genug wäre, dem Weg ins Auge zu sehen, der ihm bevorstand; aber er hatte begriffen, daß er es konnte. In der Zeit zwischen dem ersten Überqueren der Brücke und dem heutigen hatte er nun sein Inneres viel intimer kennengelernt, als er je für möglich gehalten hätte und eigentlich wollte. Er sehnte sich nach der Naivität dieses ersten Übergangs, nach seiner jugendlichen Unwissenheit zurück – denn jetzt war klar, was auf ihn zukam: jener Teil seines Lebens, in dem er die Tochter vermissen und sich nach ihr sehnen würde, deren Kind er jetzt vor seine Brust gebunden trug.
    Ach, Hernandez, dachte er in nachdenklichem Schweigen, mein lieber Gefährte, wie ich Euch vermisse! Wie unschuldig waren sie beide gewesen, als sie diese Brücke das erste Mal überquerten. Ich wußte nichts vom Leben, überhaupt nichts, und Ihr mit al l E urer weltlichen Erfahrung konntet nicht ahnen, was mich erwartete.
    Wenn sie nur auf der anderen Seite geblieben wären – würde Hernandez dann heute noch leben? Hätte ein Abenteurer wie dieser große Spanier das Jahrzehnt überlebt, das auf seinen frühen Tod folgte?
    Die halbe Bevölkerung war gestorben, erinnerte er sich.
    Aber schaut aus Eurem christlichen Himmel nieder, mein Freund, und seht, wie gut Ihr mich unterwiesen habt! Ich habe überlebt, sogar gegen den Willen Gottes!
    Ich habe einen weiteren Freund gefunden, wißt Ihr, obwohl ich seine Zuneigung zu mir erst erkannte, als es beinahe zu spät war, sie noch zu genießen. Und er hat mir auf meiner Lebensreise geholfen, wie Ihr – obwohl er dazu nicht seine Seele auszuhauchen brauchte.
    Das Kind an seiner Brust bewegte sich.
    Und, ja, das hätte ich beinahe vergessen, ich habe eine Tochter. Ich habe sie einem König gestohlen. Sie hat mich gelehrt, daß es auf dieser Welt vieles gibt, das man lieben kann, wenn man nur hinschaut … und sie hat mir diesen schönen Enkel beschert, wenngleich ich mich noch gar nicht wie ein Großvater fühle!
    Aber leider hat sie ihn nie an ihre Brust gelegt …
    Er schlug die oberen
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