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Die brennende Gasse

Die brennende Gasse

Titel: Die brennende Gasse
Autoren: Ann Benson
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Schützling gesättigt war; dann tauchte er seinen eigenen Finger in die Milch und bot ihn dem Baby an, damit es die Wärme von Fleisch zwischen den Lippen kennenlernte. » Wenn wir eine Amme für dich gefunden haben, mußt du wissen, was du zu tun hast «, murmelte er liebevoll.
    » Sie wird dir etwas Besseres als Lumpen anbieten! «
    Ihm kam es so vor, als habe er seit der Abreise aus Paris nichts anderes getan, als zu reiten, das Kind zu füttern und seine Windeln zu wechseln, wenn es nötig war. In den Zwischenpausen versuchte er zu schlafen. Aber er hatte das Gefühl, insgesamt nur ein paar Stunden die Augen geschlossen zu haben. Man stelle sich vor, dachte er bei sich, eine Frau wäre allein mit einem Säugling … wie sollte sie überleben? Er wußte, daß in solchen Fällen häufig alle beide starben.
    Aber dies würde das letzte Mal sein, daß dieses Kind sein Abendessen aus einem Stück Stoff saugen mußte; denn wenn alles wie geplant verlief, würde er einen Tempel finden, dort eine Jüdin suchen, die sich ihrer erbarmte und sich als bezahlte Amme anstellen ließ.
    Als das Kind gesäubert und gewickelt war und wieder vor seiner Brust hing, band er die Ziege an das Pferd. Er trat auf den Platz hinaus und hielt den ersten intelligent aussehenden Fußgänger an.
    » Bitte, Herr «, sagte er, » wo finde ich den Teil der Stadt, in dem die Juden leben? «
    Der Mann starrte ihn argwöhnisch an. Alejandro hielt eine Pergamentrolle vor sich, die er selbst auf hebräisch geschrieben hatte.
    » Jemand schuldet mir Geld, und ich muß es eintreiben. «
    Der Mann musterte die Schriftrolle verächtlich und zeigte in südliche Richtung. » Da entlang «, fertigte er ihn kurz ab.
    » Welche Straße soll ich suchen? « rief Alejandro ihm nach.
    » Rue des Juifs! «
     
    E s war eine dunkle und enge Straße wie die Rue des Rosiers, alles andere als hübsch, aber sauber und ordentlich und von vertrauter Lebhaftigkeit. An den Türrahmen sah er nicht die Überreste von Mesusahs, sondern die Symbole selbst. Er stieg vom Pferd und führte das Tier am Zügel. Auf dem Weg durch die Straße berührte er jede einzelne Mesusah.
    Er ging zwei oder drei Blocks weit und wurde von den Passanten vage, aber nicht unfreundlich angestarrt. Dies mußte eine eng verbundene Gemeinschaft sein, in der sich alle Bewohner kannten und jeder wußte, wohin er gehörte. Die Wachsamkeit, sein ständiger Begleiter während eines ganzen Jahrzehnts, ließ langsam nach, und er fühlte sich seltsam leicht und frei. Obwohl übrigens seine ganze Aufmachung städtisch war, wurde er nicht sofort als Außenseiter empfunden. Manch einer nickte ihm vorsichtig zu, wenn er vorbeikam. Er kannte sein Ziel selbst nicht genau, aber er lächelte und nickte mit wirklich empfundener Freundlichkeit und verspürte keinerlei Argwohn.
    Und plötzlich, als habe Gott selbst ihn geführt, fand er sich vor einem kleinen Gebäude wieder, das nur ein Tempel sein konnte. Er hielt Pferd und Ziege an und stand einen Moment da, um die saubere Fassade zu betrachten.
    » Nun, kleiner Guillaume «, sagte er, » ich glaube, hier möchten wir verweilen. «
    Es gab keinen Platz, um die Tiere anzubinden; also sprach er einen herumlungernden Jungen an und bot ihm einen sou, damit er für ein Weilchen auf sie aufpaßte. Der Junge strahlte, und als er den Zügel erhalten hatte, stand er ernst da, den Stolz über seine wichtige Mission ins Gesicht geschrieben.
    Das Baby fest an seine Brust gedrückt, beugte Alejandro den Kopf und trat durch die niedrige Tür. Der Fußboden war mit Sand bestreut, um die Geräusche für jene zu dämpfen, die in tiefe Meditation über die Wunder Gottes versunken waren. Und im vorderen Teil des Raumes befanden sich zwei alte Männer, die genau das taten. Ihre Köpfe nickten rhythmisch, während ihre Lippen einen nicht versiegenden Strom von Gebeten murmelten. Das war die klassische Haltung des frommen Juden im Tempel, etwas, was er in seiner Jugend viele tausend Male gesehen hatte. Doch die Augen des Mannes, der Europa durchquert hatte, bemerkten etwas, was dem Jugendlichen nie aufgefallen war.
    Wie eigenartig diese Praxis aussieht!
    Einer, so schloß Alejandro aus dessen Kleidung, war ein Rabbiner, wahrscheinlich der Führer dieser Gemeinde und wohl auch der größeren Gemeinschaft. Der andere schien außer seiner offenkundigen Frömmigkeit keine besondere Bedeutung zu haben. Die beiden Männer waren so vertieft, daß sie ihn nicht bemerkten.
    Der Rabbiner kennt
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