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Die Braut des Florentiners - TB 2006/2007

Titel: Die Braut des Florentiners - TB 2006/2007
Autoren: Richard Dübell
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beobachtete mit immer weiter aufsteigender Übelkeit, wie sie der jungen Schwester den Friedenskuss auf die Lippen drückte. Als die Äbtissin sich wieder aufrichtete, schwankte Schwester Immaculata.
    »Was ist dein Streben, Schwester im Glauben?«, fragte die Äbtissin.
    Der Welt zu entsagen und ein Leben in Demut und der Entsagung aller Lüste zu führen, dachte Magdalena. Sie hörte sich selbst vor wenigen Jahren die Formel sprechen und erinnerte sich, dass sie damals dieselbe Übelkeit verspürt hatte wie soeben. Das Gefühl verging nicht. Sie schluckte krampfhaft. Ihr Mund war sofort wieder voller Speichel, und ihr Magen hob sich. Warum jetzt?, dachte Magdalena panisch. Warum bei der ersten Profess, die einer ihrer Schützlinge ablegte? Warum so heftig?
    »Der Welt zu entsagen und ein Leben in Demut und der Entsagung aller Lüste zu führen«, sagte Schwester Immaculata.
    »Wer hat deine Liebe, Schwester im Glauben?«, fragte die Äbtissin.
    »Die Ordensgemeinschaft und der Herr Jesus Christus, in dessen Bett ich eingestiegen bin.«
    Etwas stieg brennend in Magdalenas Kehle auf; sie würgte es hinunter. Es schüttelte sie. Schwester Radegundis, die neben ihr stand, bemerkte nichts. Sie hatte die rechte Hand vor ihre Brust gehoben und die Finger ausgestreckt. Weiter vorn, unterhalb des Freskos im Kapitelsaal, vollführte Schwester Immaculata das Spiegelbild dieser Geste; die Äbtissin steckte ihr einen Ring auf den Ringfinger der rechten Hand. Magdalena hörte nicht, was die Äbtissin sagte. In ihren Ohren gellte ein Misston. Sie spürte kalten Schweiß auf Stirn und Oberlippe und wusste, dass sie es beim nächsten Mal nicht würde zurückhalten können. Und dann würde Schwester Immaculata sich an ihre Profess ständig als den Tag erinnern, an dem Schwester Magdalena Caterina, Ordensschwester seit dreizehn Jahren, Novizinnenmeisterin in San Paolo di Parma seit zwei Jahren und verantwortlich für ihren reibungslosen Übergang vom Noviziat zur Gemeinschaft, auf den Fliesenboden des Kapitelsaals gekotzt hatte.
    Rette sie, hörte sie die Stimme in sich selbst rufen. Plötzlich verstand sie, dass sie die ganze Zeit über nicht richtig zugehört hatte. Die Stimme rief: Rette dich.
    In ihrer Zelle kniete Magdalena auf dem Boden. Die Gebetsformeln waren längst in den Läufen ihrer Gedanken verloren gegangen, stattdessen hallten Fragen durch ihre Versenkung. Letzten Endes hatte sie weder den Fliesenboden verunreinigt noch Schwester Immaculatas Gelübde in sonst einer Weise gestört. In ihrem Herzen war sie dennoch erschüttert. Noch nie war ihr übel geworden, wenn sie Zeugin wurde, wie eine Mitschwester sich mit ihrem Gelübde an den Orden band – und heute … Es hatte auch nicht geholfen, dass sie sich vorgesagt hatte, es handle sich nur um die zeitliche Profess und Schwester Immaculata könne in den folgenden drei Jahren jederzeit in die Welt zurückkehren, bis sie sich mit der feierlichen Profess auf immer an die Gemeinschaft band: Sie hatte noch nie erlebt, dass eine Schwester während dieser Zeitspanne die Gemeinschaft verlassen hätte. Erst recht hatte es nichts geholfen, dass sie sich bewusst gewesen war, dass sie selbst, Schwester Magdalena Caterina, die neue Schwester Immaculata Veronica auf diesen Weg gebracht und ans Ziel geleitet hatte.
    Als Beatrice Casagrande ins Kloster aufgenommen worden war, hatte Magdalena noch einmal einen Blick durch die kleine Klappe im Tor der Klosterpforte nach draußen geworfen. Mit der Erinnerung an das strahlende, verzückte Gesicht des jungen Mädchens hatte sie in das graue Antlitz eines Mannes geblickt, der die geschlossene Tür anstarrte. Eine ältere Frau stand neben ihm, verschlossen und mit stolzer Haltung. Die Casagrande waren erfolgreiche Kaufleute in Ferrara – die Äbtissin pflegte genaue Erkundigungen einzuziehen, bevor sie ein junges Mädchen als Postulantin aufnahm, und der Klostertratsch pflegte die Ergebnisse dieser Ermittlungen erfolgreich zu verbreiten. Beatrice war ihre einzige Tochter. Noch während Magdalena nach draußen gespäht hatte, hatte der Mann plötzlich die Fassung verloren, und er war in Tränen ausgebrochen. Sie hatte die Klappe leise geschlossen und gewusst, dass hier eine Tochter dem Vater das Herz gebrochen hatte.
    Aber auch das war nicht der Grund für den Ansturm von Gefühlen, der sie im Kapitelsaal überwältigt und ihren Magen zum Rebellieren veranlasst hatte. Der Grund dafür lag ganz allein in ihr selbst.
    Rette dich.
    Sie
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