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Die Borgia: Geschichte einer unheimlichen Familie (German Edition)

Die Borgia: Geschichte einer unheimlichen Familie (German Edition)

Titel: Die Borgia: Geschichte einer unheimlichen Familie (German Edition)
Autoren: Volker Reinhardt
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beherrscht, um danach durch eigene Schuld umso tiefer zu stürzen. So wurde ein schmeichelhaftes Bild mit dem letzten Pinselstrich verunstaltet. Das war ein zugleich bewundernder und hämischer Nachruf, ganz im Stil Machiavellis.
    Aus heutiger Sicht stellt sich Cesares Bild nüchterner dar: Sein Versuch, den Norden des Kirchenstaats als Familienfürstentum der Borgia abzutrennen, war von vornherein zum Scheitern verurteilt. Kein Nachfolger Alexanders VI. hätte sich mit dieser Enteignung abfinden können. Nicht minder illusorisch war die Hoffnung, eine dauerhafte Vormundschaft über das Papsttum ausüben zu können. Damit konnten sich weder die Kardinäle noch die Gefolgsleute der Borgia selbst, geschweige denn die europäischen Fürsten, einverstanden erklären. Sie alle zogen ihren Nutzen aus dem regelmäßigen Herrschaftswechsel an der Spitze der geistlichen Wahlmonarchie Rom. Wie schwach Cesares Herrschaft in der Romagna geblieben war, zeigte sich daran, dass die alten Stadtherren der Romagna und die römischen Barone jetzt kampflos in ihre alten Herrschaftsgebiete zurückkehren konnten, sofern sie die Ausrottungsaktionen der Borgia überlebt hatten. Nach dem Tod Alexanders VI. weinte den Borgia dort kaum jemand eine Träne nach. So lautet das Fazit, dass Machiavelli aus dem irrlichternden Glücksritter und Desperado Cesare Borgia bei aller Kritik etwas gemacht hat, was dieser nie war, nämlich einen ernstzunehmenden Staatsmann, ja in vieler Hinsicht sogar den uomo virtouso , den vollendeten Fürsten, schlechthin.
    Ganz anders fällt das Bild Lucrezia Borgias aus. In Ferrara, dem Dunstkreis von Vater und Sohn entzogen, erwarb sie sich als treusorgende Familienmutter und durch ihre Armenfürsorge den allerbesten Ruf. Als sie neununddreißigjährig nach einer späten Geburt 1519 im Kindbett starb, war die Erinnerung an ihr bewegtes Vorleben fast getilgt – bis die einsetzende Mythenbildung sich in der Folgezeit als stärker erwies. Bringt man es auf eine griffige Formel, dann war Cesare unbedeutender als sein Mythos, Lucrezia aber in Wirklichkeit das schiere Gegenteil dessen, was in der Erinnerung aus ihr gemacht wurde.

    Hermann Kaulbachs Gemälde aus dem Jahr 1882 zeigt, wie Lucrezia Borgia dünn gewandet und wollüstig vor ihrem Vater Alexander VI. und dem päpstlichen Hofstaat tanzt: Die Legende hat die kluge und sanftmütige Papsttochter zur Femme fatale verwandelt, und als solche erhitzte sie die Männerphantasien des Fin de Siècle.
    Und Alexander VI.? Die Fresken, die Pintoricchio 1493 in den Borgia-Gemächern des Vatikans malte, zeigen überwiegend fromme Themen. Heilige, die freien Künste und vor allem die Bestrebungen, die Christenheit gegen die vordringenden Türken zu schützen, stechen dem heutigen Besucher ins Auge. Der Papst selbst ist kniend im Gebet dargestellt, wie er den Segen des Himmels für seinen Pontifikat erfleht. Ein einziges Bild sprengt diesen Rahmen. An der Decke der Sala dei Santi, des Heiligensaals, ist der Mythos vom altägyptischen Gott Osiris gemalt. Osiris wird von seinen Feinden getötet und zerstückelt, doch von seiner Gattin Isis wieder zusammengesetzt. Danach tritt er seinen zweiten Siegeszug in der Gestalt eines Stieres, des Borgia-Wappentieres, an. Allein in diesem Fresko lässt sich somit ahnen, was den zweiten Borgia-Papst antrieb: der rückhaltlose und rücksichtslose Wille, seine Familie zu dauerhafter fürstlicher Größe emporzutragen und diesem Ziel sämtliche Ressourcen des Papsttums von Anfang an vollständig unterzuordnen. Mit diesen Bestrebungen baute Alexander VI. zwar auf Normen und Strategien seiner Vorgänger auf, doch brach er am Ende mehr Tabus als jeder Pontifex maximus vor ihm. So mussten sich die nachfolgenden Päpste von ihm und seiner Familie so weit wie möglich distanzieren, um den Schaden für die moralische und politische Autorität des Papsttums einigermaßen in Grenzen zu halten.

    In dieser Szene von Pintoricchios Fresko aus der Sala dei Santi im Vatikan wird Osiris von seinen Feinden abgeschlachtet. Doch diese freuen sich zu früh. Der ägyptische Gott wird zu neuem Leben erweckt und tritt als Stier, das heißt als Wappentier der Borgia, seinen zweiten Siegeszug an – die Warnung an deren Gegner ließ an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig.
    Trotzdem galt Alexanders Pontifikat an der Kurie hinter vorgehaltener Hand als erfolgreich. Schließlich erholten sich weder die Stadtherrn der Romagna noch die römischen Barone völlig von
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