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Die Borgia: Geschichte einer unheimlichen Familie (German Edition)

Die Borgia: Geschichte einer unheimlichen Familie (German Edition)

Titel: Die Borgia: Geschichte einer unheimlichen Familie (German Edition)
Autoren: Volker Reinhardt
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der Profanierung eines heiligen Amtes, die sich darin austobt. Alexander VI. aber war auf seine Art fromm; in Krisensituationen rief er, wie sicher bezeugt ist, die Heiligen um Schutz an. Deren Fest in den Schmutz zu ziehen, hätte ihn seinem festen Glauben gemäß schweren Strafen ausgesetzt, während er doch gerade jetzt den Beistand des Himmels mehr denn je benötigte, ganz zu schweigen von dem verheerenden Eindruck, den eine solche Profanierung in der Öffentlichkeit machen musste. Damit wäre der Vorwurf der Glaubenslosigkeit, der seit Beginn des Pontifikats laut geworden war, auf das Schlagendste bestätigt worden. Die Kurtisanengeschichte darf somit als Legende abgehakt werden.

    In der Sala dei Santi, dem Saal der Heiligen, malte Pintoricchio die Geschichte der keuschen Susanna, die von den lüsternen Alten beobachtet und bedrängt wird. Für die Borgia war das ein ungewöhnliches Motiv: Sexuelle Enthaltsamkeit galt den Zeitgenossen nicht gerade als ihr Markenzeichen.
    Mit manchen weiteren Nachrichten, die die Zeitgenossen verstörten, sieht es anders aus. So erwiesen sich die Gerüchte, dass der Papst Lucrezia im Sommer 1501 für die Zeit seiner Abwesenheit im südlichen Latium die Führung der politischen Geschäfte der Kurie übertragen habe, als wahr. Eine Frau als provisorische Chefin im Vatikan, mit dem fünfundneunzigjährigen Kardinal Costa als Ratgeber an ihrer Seite: Was für ein Affront für die Reformpartei! Auch die Meldungen, dass der Papst jetzt schwerkranken Kardinälen konsequent verbiete, über ihre irdischen Besitztümer testamentarisch zu verfügen, fand ihre Bestätigung. Nach dem Tod der Kardinäle fiel deren Besitz dadurch an den Vatikan. Cesares Feldzüge waren finanziell ein Fass ohne Boden; die reichen Prälaten sollten das Ihre dazu beisteuern.
    Diese Strategie der Borgia brachte naturgemäß die Gerüchteküche erst richtig zum Kochen. Jeder neue Sterbefall in höchsten Kirchenkreisen wurde von jetzt an auf das Gift der Borgia zurückgeführt. Zur Glaubwürdigkeit dieser Schuldzuweisungen trug Cesare Borgias Verhalten bei. Im Gegensatz zum Gros seiner Mitmenschen war er nachtaktiv, um danach bis über die Mittagsstunde hinaus zu schlafen. Um den Eindruck des Unheimlichen zu verstärken, ließ er Erzählungen über die beispiellose Schnelligkeit seiner Aktionen verbreiten. Standen ihm dabei die Mächte der Hölle zur Seite? Diese Frage sollten sich seine Gegner permanent stellen müssen. Selbst der Papst bekundete gelegentlich Furcht vor dem eigenen Sohn. Doch solche Äußerungen waren fraglos Teil eines ausgeklügelten Rollenspiels und dienten der Imagebildung: Wenn selbst der Heilige Vater vor Cesare, dem Schrecklichen, zitterte, dann durfte sich niemand mehr vor diesem sicher fühlen.
    Andere Vorkommnisse, die den Zeitgenossen nicht geheuer waren, lassen sich bis heute schwer erklären. Warum ließ Alexander VI. während der Ostersonntagsmesse 1502 ein Stück der Hostie verschwinden? Johannes Burckard, der Zeremonienmeister, der von diesem Bruch der Riten berichtet, war selbst ratlos. An einen Formfehler aus reiner Unaufmerksamkeit mochte er nicht glauben. Doch wozu benötigte der Borgia-Papst dieses Stück vom Leib des Herrn? Gerade weil er selbst keine Antwort gibt, ist Burckards Zeugnis glaubwürdig. Wenige Tage zuvor waren der Papst und sein Sohn auf der kurzen Schiffsreise von der frisch eroberten Insel Elba zum Festland in einen Sturm geraten und dem Schiffbruch nur um Haaresbreite entgangen. Die Errettung in letzter Minute erzeugte neue und zugleich alte Legenden: Die Seeleute wollten den Teufel gesehen haben, wie er mit dem Papst stritt und die Elemente entfesselte.
    Zwischen März und Mai 1502 ruhten sich Vater und Sohn von den überstandenen Strapazen aus. Danach wurde Cesare seinem selbst geschaffenen Mythos voll und ganz gerecht und überrumpelte seinen nächsten Gegner. Er ersuchte Guidobaldo da Montefeltro höflich von Fürst zu Fürst darum, ihm erst seine Geschütze und danach auch seine Soldaten auszuleihen. Die Begründung war so schmeichelhaft wie nur möglich. Guidobaldo werde von seinen Untertanen wie ein treusorgender Vater geliebt und sei daher nicht auf Waffengewalt angewiesen, um sich zu behaupten. Der nichtsahnende Herzog gab daraufhin dem Antrag statt, entlieh seine Streitmacht und sah sich schon kurz darauf in akuter Lebensgefahr: Mitte Juni eroberte Cesare das schutzlose Urbino im Handstreich. Der schwer kranke Guidobaldo Montefeltro konnte sich in
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