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Die Borgia: Geschichte einer unheimlichen Familie (German Edition)

Die Borgia: Geschichte einer unheimlichen Familie (German Edition)

Titel: Die Borgia: Geschichte einer unheimlichen Familie (German Edition)
Autoren: Volker Reinhardt
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verschwenderisch ausgestattete Stadtresidenz war offensichtlich nicht für asketische Einsamkeit errichtet worden. Ein erster Sohn des Kardinals namens Pedro Luis wurde um 1460 geboren, die Muter ist nicht bekannt. Mit der Namensgebung bewahrte der Vater die Erinnerung an den «Mitnepoten» aus der Zeit seines Onkels Calixtus III., ganz im Stile großer Adelsgeschlechter und ihrer dynastischen Kontinuitätsbildung. Zu diesem Zweck legalisierte der Kardinal im November 1481 diesen Sohn; in einer zu diesem Zweck ausgestellten Notariatsurkunde bekannte er sich als dessen Erzeuger.
    Dass ein heißblütiger junger Kardinal Kinder zeugte, war alles andere als ungewöhnlich, dass er diese hingegen als leibliche Nachkommen anerkannte, fiel völlig aus dem Rahmen, ja war ein regelrechter Skandal. Schon Pius II. hatte nach der Devise argumentiert, dass man solche Fehltritte bedauern, aber totschweigen müsse. Sie durch eine Urkunde publik zu machen, war ein unerhörter Affront für die kuriale Reformpartei. Dass der stolze Vater mit diesem «Coming out» immerhin zwanzig Jahre gewartet hatte, spiegelt zugleich den Normenwandel an der Kurie wider: Gegen Ende der Regierungszeit Sixtus’ IV. durfte man auf sehr viel mehr Verständnis für einen solchen kühnen Akt hoffen. Ein Papst, der seine Blutsverwandten so maßlos förderte, hatte schlichtweg nicht die moralische Autorität, gegen diesen ostentativ bekundeten «Familiensinn» einzuschreiten.
    Die Anerkennung der Vaterschaft war nur ein erster Schritt. Vier Jahre danach wurde Pedro Luis Borgia auf Betreiben seines Vaters Rodrigo von den spanischen Majestäten das Herzogtum Gandía bei Valencia verliehen, und zwar als Gegenleistung für gute Dienste in Rom. Dieser Sohn war somit versorgt und zum Begründer einer eigenen Hochadelsdynastie bestimmt. Andere sollten folgen.
    Zwischen 1467 und 1469 wurden dem Kardinal, wiederum von einer namentlich nicht bekannten Mutter, zwei Töchter namens Isabella und Gerolama geboren. Diese verheiratete er mit Söhnen des römischen Stadtadels, der eine Etage unter den Baronalfamilien Colonna und Orsini rangierte. Seit etwa 1474 unterhielt der Kardinal eine feste Beziehung mit Vannozza (de’) Cattanei, die geradezu eheähnliche Züge annahm. Vannozza war zu diesem Zeitpunkt verheiratet. Nach dem Tod ihres Gatten verschaffte ihr Rodrigo noch zwei weitere Ehemänner: den ersten im Jahre 1481, um sein Verhältnis mit ihr mehr schlecht als recht zu verdecken, den zweiten vier Jahre später, um sie standesgemäß zu versorgen und Freiraum für neue Amouren zu gewinnen.
    Das war eine Scheidung in Freundschaft. Vannozza ging auch danach im Vatikan ein und aus, pflegte enge Kontakte zu ihren Kindern, als deren Mutter sie in offiziellen Dokumenten genannt wurde, und erhielt sogar Verwaltungsaufgaben im Kirchenstaat übertragen. Diesen Rang als anerkannte Matrone verdankte sie zweifellos ihren Nachkommen, den erklärten Lieblingskindern des Kardinals: Cesare, Giovanni, Lucrezia und Jofré, die 1475, 1476, 1480 und 1481 das Licht der Welt erblickten und ebenfalls urkundlich legalisiert wurden. Dass ihr Erzeuger anders als mit seinen älteren Töchtern Großes mit ihnen im Sinn hatte, hing mit seinem gewachsenen Renommee und den parallel dazu gestiegenen Ambitionen, aber fraglos auch mit persönlicher Zuneigung zusammen. Diese vier bildeten zusammen mit ihrer Mutter seine Familie. Auf die dauerhafte Größe dieser Sprösslinge richtete sich von jetzt an sein ganzer Ehrgeiz. Alle späteren Mätressen gewannen keinen vergleichbaren Rang oder Einfluss. Rodrigos sexueller Appetit auf schöne junge blonde Frauen blieb zwar über das siebzigste Lebensjahr hindurch lebendig, doch hatte diese Begierde nicht mehr dieselben emotionalen und sozialen Konsequenzen. Kinder aus solchen Liaisons wurden zwar mit hochtönenden Adelstiteln versorgt, spielten in den dynastischen Planungen jedoch eine untergeordnete Rolle. Und den Status einer Quasi-Ehefrau, wie ihn Vannozza innegehabt hatte, gewann keine dieser Gespielinnen mehr.
    Elternliebe drückt sich zu verschiedenen Zeiten unterschiedlich aus. Für die Eliten der Renaissance waren Nachkommen Faustpfänder und Instrumente des sozialen und politischen Aufstiegs. In Zeiten hoher Kindersterblichkeit zählte nicht das unverwechselbare Individuum, sondern das Glied, das die Abstammungskette fortsetzte. Eltern und Kinder verstanden sich darüber hinaus als eine unteilbare Status-Gemeinschaft. Jeder, der daran teilhatte,
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