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Die Borgia: Geschichte einer unheimlichen Familie (German Edition)

Die Borgia: Geschichte einer unheimlichen Familie (German Edition)

Titel: Die Borgia: Geschichte einer unheimlichen Familie (German Edition)
Autoren: Volker Reinhardt
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Zeit des Schismas eine fast uneingeschränkte Autonomie erobert. Das galt vor allem für die zahlreichen Stadtherren der Romagna, die zwar nominell dem Papst als Lehnsherrn unterstellt und zu mancherlei Abgaben und Diensten verpflichtet waren, sich jedoch de facto politischer Eigenständigkeit erfreuten und dabei auf die Unterstützung der einheimischen Bevölkerung zählen durften. Der «Staat» des Papstes galt deshalb zu recht als schwach. An eine einheitliche Verwaltung, einen effizienten Einzug von Steuern oder gar die Aushebung eines starken Heeres war nicht zu denken.
    Doch gerade darauf war das Papsttum nach Beilegung der Kirchenspaltung angewiesen. Während der turbulenten Jahrzehnte des Schismas waren ihm nicht nur viel Ansehen und politische Autorität abhanden gekommen, sondern auch große Teile seiner Einnahmen. Sie waren im 14. Jahrhundert noch aus einer flächendeckenden Besteuerung des europäischen Klerus geflossen, doch diese Quelle war inzwischen in die Kassen der europäischen Monarchen umgeleitet worden. Es gab jetzt zwei Möglichkeiten, diese Einnahmen zu ersetzen. Zum einen konnte die Kurie versuchen, mehr Abgaben aus dem päpstlichen Herrschaftsgebiet abzuschöpfen. Doch das war ein zweischneidiges Unterfangen, das regelmäßig lokale Aufstände provozierte. Ein Papst, der die Steuern erhöhte, galt als ein schlechter, ja illegitimer Herrscher. Die zweite Methode, das dringend benötigte Geld zu beschaffen, bestand darin, alle kirchlichen Verwaltungsakte in Rom mit hohen Gebühren zu belegen. Dafür war ein Ausbau der zentralen Bürokratie erforderlich, der selbst beträchtliche Kosten verursachte. Trotzdem schlug das Papsttum nach der Mitte des 15. Jahrhunderts diesen Weg ein.
    Immer neue Sekretärs- und Notarsstellen wurden für die vatikanischen Behörden eingerichtet, nach 1471 zunehmend durch den Verkauf solcher Ämter. Parallel dazu ließ sich Rom die Ernennung neuer Bischöfe und anderer kirchlicher Würdenträger teuer bezahlen, zum Beispiel bei der Ausstellung von Urkunden und bei der Überreichung von Amtsinsignien. Auf diese Weise wurde die vom kanonischen Recht rigoros verbotene Simonie, das heißt der Verkauf von geistlichen Würden oder von Sakramenten, zwar formaljuristisch vermieden, doch leuchteten der breiteren Öffentlichkeit diese feinen Unterscheide nicht ein. Das Fazit kritischer Intellektueller lautete deshalb immer häufiger: Das Papsttum verspielt durch seine Verweltlichung seinen Kredit; der Nachfolger Petri, des armen Fischers vom See Genezareth, darf nicht wie ein weltlicher Fürst Hof halten, sondern muss den geistlichen Charakter seines Amtes durch seine Lebensführung permanent vor Augen führen und zur urchristlichen Schlichtheit zurückkehren.
    Römische Humanisten im Auftrag von Päpsten und Kardinälen entgegneten darauf mit dem Argument, dass sich die Zeiten gewandelt hatten. Während man zur Zeit der Apostel Seelen durch Anspruchslosigkeit gewann, bedurfte die Gegenwart starker sinnlicher Eindrücke, um zum Glauben zu gelangen: Die Kirchen mussten prachtvoll ausgestattet sein, um die Herrlichkeiten des Paradieses sinnfällig vorwegzunehmen, Kardinäle hatten wie Fürsten aufzutreten, um die Würde ihres Ranges adäquat zu veranschaulichen.
    Allerdings setzten auch diese Autoren dem Lebensstil des geistlichen Führungspersonals Grenzen: Prunkvolle Paläste, livrierte Diener und kostbar ausgestattete Bibliotheken waren zwar erlaubt, doch sollte sich dieser Aufwand mit einem sittlich einwandfreien Lebensstil verbinden, der von Streben nach Bildung, Pflichterfüllung bei der Regierung der Kirche und Seelsorge geprägt war.
    Das hieß im Klartext: keine Feste mit Damenbesuch, keine Beziehungen zu römischen Kurtisanen und natürlich erst recht keine mehr oder weniger dauerhaften «Konkubinate», das heißt Lebens(abschnitts)partnerschaften, geschweige denn leibliche Nachkommen. Kardinäle unterlagen dem Zölibatsgebot, und als Kirchenfürsten sollten sie bei dessen Einhaltung mit gutem Beispiel vorangehen. Gerade diese Norm wurde jedoch im letzten Drittel des 15. Jahrhunderts zunehmend aufgeweicht. Immer mehr Kardinäle wurden jetzt aus politischen oder finanziellen Gründen ernannt. Erfolgreiche Kandidaten hatten in ihr neues Amt investiert und wollten dafür Rendite sehen. Lästige Beschränkungen wie der Verzicht auf ein aktives Sexualleben oder auf eine Familie und eigene Nachkommen störten dabei nur, zumal die neuen Kirchenfürsten parallel zu dieser
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