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Die Borgia: Geschichte einer unheimlichen Familie (German Edition)

Die Borgia: Geschichte einer unheimlichen Familie (German Edition)

Titel: Die Borgia: Geschichte einer unheimlichen Familie (German Edition)
Autoren: Volker Reinhardt
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unterlag dem Zwang, diesen Rang nicht nur zu bewahren, sondern wenn möglich auch zu mehren. Diese «instrumentale» Wertschätzung schlug sich folgerichtig in der Bildung, den Karrierechancen, den Ämtern und Heiratsverbindungen nieder, die den Sprösslingen vermittelt wurden. So betrachtet, rangierten die beiden Töchter Isabella und Gerolama unter «ferner liefen».
    Wie austauschbar manche seiner Nachkommen in den Augen des Vaters waren, zeigte sich beim frühen Tod von Pedro Luis Borgia dem Jüngeren im Jahr 1488. Das eben erst erworbene Herzogtum Gandía drohte damit wieder an die Krone zurückzufallen – eine Katastrophe für die Familienpolitik des Kardinals. Kaum weniger schwer wog der Verlust der Heiratsallianz, die er für Pedro Luis ins Auge gefasst hatte. Dessen Braut Maria Enriquez entstammte einer Seitenlinie des Königshauses von Aragón. Mit dieser Eheschließung sollten die Borgia also auf der dynastischen Höhe stehen, die ihnen ihrer Ansicht nach zustand. Aus einem Zweig des Herrscherhauses hervorgegangen, kehrten sie mit dieser Verschwägerung endgültig und vor der Öffentlichkeit in diesen erlauchten Ausgangskreis zurück. Kein Wunder, dass Kardinal Rodrigo alles tat, um dieses Verhängnis abzuwenden. Zu diesem Zweck sollte sein Sohn Giovanni in die Bresche springen und das Herzogtum nebst der Verlobten seines Halbbruders erhalten. Diesem Deal zeigten sich die katholischen Majestäten keineswegs von vornherein abgeneigt, doch bestanden sie auf neuen Verhandlungen. Für den Vater des Möchtegern-Bräutigams bedeutete das einen kräftigen Aufpreis, der vor allem in politischen Gunsterweisen an die Kurie zu entrichten war. Beim Feilschen darüber ließen sich die Brauteltern Isabella und Ferdinand viel Zeit; diese schien für sie zu spielen, doch war am Ende Rodrigo Borgia der Nutznießer der Hinhaltetaktik.

    Vannozza Cattanei (1442–1518), die dieses Bild von Innocenzo Francucci da Imola nach einer glaubwürdigen Tradition zeigt, schenkte Alexander VI. seine vier Lieblingskinder Cesare, Giovanni, Lucrezia und Jofré. Auch nach Ende der Liaison mit dem Papst spielte sie an dessen Hof eine geachtete Rolle (Rom, Galleria Borghese).
    Bei aller Ersetzbarkeit, was Adelstitel und Heiratsverbindungen betraf, machte der Kardinal in emotionaler Hinsicht zwischen seinen Sprösslingen aus der Verbindung mit Vannozza doch beträchtliche Unterschiede. Sein erklärter Liebling war – das stand für alle Zeitgenossen außer Frage – Giovanni. Diesem Augapfel seines Vaters wurde schlichtweg nichts abgeschlagen. Es war daher kein Zufall, dass er die prestigeträchtige Nachfolge in Gandía antreten durfte.
    Wie die gefühlsmäßigen Bindungen zu Cesare, dem Erstgeborenen unter den Kindern des engsten Kreises, beschaffen waren, darüber gingen schon zu Lebzeiten von Vater und Sohn die Meinungen weit auseinander: Wer hatte während des Pontifikats des Vaters das Sagen? Wer heckte welche Pläne aus? Wer war Ideengeber und wer nur ausführendes Organ? Und wer fürchtete wen? Die Historiker, die Alexander VI. ohne Unterschlagung von Dokumenten und somit ohne offenbare Geschichtsfälschung so weit wie möglich zu entschuldigen versuchten, haben naturgemäß den Sohn als den Spiritus rector und damit als Dämon des Pontifikats ausgemacht. Zu Unrecht, denn Vater und Sohn hatten eine perfekte Rollenverteilung vorgenommen, bei der Cesare der Part des ungestümen Stürmers und Drängers zufiel, während der Papst zögerlich, von Skrupeln geplagt und manchmal geradezu ängstlich auftrat. Doch war schon klugen Beobachtern wie den venezianischen Botschaftern klar, dass sie Zeugen einer immerwährenden Inszenierung von hoher Perfektion waren. In Wirklichkeit – das belegen die Schlüsseldokumente – gingen alle wesentlichen Initiativen von Papst Alexander VI. aus, der die Fäden bis zum Schluss in der Hand behielt.
    Cesare Borgia besaß unleugbar die Eigenschaften eines tatkräftigen und erfolgreichen Herrschers, wie Niccoló Machiavelli bei seinen Gesandtschaftsreisen scharfsichtig feststellte. Doch fiel er auch immer wieder aus der Rolle des Fürsten, für die er nicht geboren war: Er prahlte, drohte und schwadronierte, stellte seine militärische Stärke übertrieben dar, versuchte Diplomaten einzuschüchtern und brüskierte andere Mächte. Staatsklugheit, so Machiavelli, sah anders aus. Dieses Verhalten zeigte den Sohn des Papstes als Parvenü, der seine Unsicherheit um keinen Preis nach außen durchscheinen lassen
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