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Die Blüte des Eukalyptus

Die Blüte des Eukalyptus

Titel: Die Blüte des Eukalyptus
Autoren: Johanna Nicholls
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vor Augen und im Herzen, in den Schlaf geweint. Gem schmachtete als Gefangener in irgendeinem Loch, Gott weiß wo, doch die Erinnerung an ihre Umarmungen war so lebendig, als hätte er die ganze Nacht mit ihr verbracht.
    Keziah erstarrte, als sie Gems Eltern im vardo nebenan hörte. Anders als Patronella war ihr Schwiegervater mit dem Alter toleranter geworden. Keziah hörte, wie er schlaftrunken mit seiner Frau schimpfte.
    »Heute ist ihr Geburtstag. Sei nicht so streng mit der Kleinen, Patronella. Es ist doch ganz natürlich, dass sie Sehnsucht nach unserem Sohn hat. Meine Mutter sagte immer: So wie die Stute nach der Straße, so sehnt sich eine junge Frau nach dem Mann in ihrem Bett.«

    »Ja, aber jetzt, da Gem im Gefängnis sitzt, könnte es jeder hergelaufene Kerl sein.«
    Keziah tröstete sich damit, dass es die letzte Beleidigung war, die sie ertragen müsste. Heute würde sie auf ihr baxt vertrauen und den geliebten vardo verlassen, den Gem für sie gebaut hatte, bevor man ihn vor Gericht gestellt hatte. Die Anklage lautete auf Pferdediebstahl, und für ein Mitglied des fahrenden Volkes stand das Urteil bereits fest: schuldig. Dasselbe galt für die Strafe: Deportation nach New South Wales. Keziah wusste, dass er leicht vierzehn Jahre hätte bekommen können oder sogar lebenslänglich. Unschuldig oder nicht, die milde Strafe von sieben Jahren war kein Trost für Keziah.
    Sie klammerte sich an die Erinnerung, wie Gem aus dem Gerichtssaal geführt worden war und unerschrocken gerufen hatte: » Keziah! Kein Gericht auf der Welt hat die Macht, mich von dir zu trennen! «
    Sie hatte sich geschworen, seine Worte wahr werden zu lassen. Jetzt schnürte sie ihre Habseligkeiten zu einem Bündel zusammen: die Tarotkarten, Kleider zum Wechseln, einen warmen Schal und mehrere Kopftücher, um ihren Status als verheiratete Roma-Frau deutlich zu machen. Sie trug zwei Röcke und einen roten Unterrock übereinander, um sie nicht schleppen zu müssen, und dazu eine mit ausländischen Goldmünzen gesäumte, bis obenhin zugeknöpfte Männerweste über der Bluse, ein Zeugnis für die Flucht ihrer Vorfahren quer durch Europa.
    Sie war schon halb über den offenen Platz zur Straße nach Liverpool, als Patronellas Stimme die Stille des frühen Morgens zerriss. Keziah lief mit großen Schritten weiter, gefolgt von Patronella. Die grauen Zöpfe der älteren Frau tanzten in der Luft, als sie Keziah mit einem triumphierenden Schrei an den Haaren packte.
    Keziah kämpfte ihre Angst nieder und konzentrierte sich innerlich auf Gems Gesicht.
    »Ich gehe fort, Patronella. Ich gehöre zu Gem, und ich werde ihn finden.«

    Patronella ließ einen Schwall von Beschimpfungen los, gegen die Keziah sich nicht zu wehren wusste. Patronella hasste sie, weil sie in ihr eine Rivalin um Gems Liebe sah. Von dem Geschrei aufgeschreckt krochen jetzt Männer, Frauen und Kinder unter den Rädern ihrer vardos oder aus den Hecken hervor, wo sie die Nacht verbracht hatten. Die älteren Frauen stachelten Patronella an, Keziah zur Räson zu bringen. Die Männer waren vorsichtiger, aus Respekt vor Gem.
    Keziah bemerkte Ivanos prüfenden Blick und schlug ehrfurchtsvoll die Augen nieder. Er war Gems Vater. Sie war ihm unendlich dankbar, als er seine Frau mit ruhiger Stimme zurechtwies.
    »Genug! Lass die Kleine ziehen und gib ihr deinen Segen.«
    »Segen – von wegen! Mein Gem kann froh sein, dass er sie los ist. Eine unfruchtbare Frau tut keinem Mann gut.«
    Keziah zuckte zusammen. Die Anspielung darauf, dass sie als Ehefrau versagt hatte, schmerzte wie ein Stich ins Herz, doch sie blieb stumm.
    »Siehst du, was für eine Schlange sie ist? Ihr ist es egal, was aus ihrer Schwiegermutter wird!« Patronella spielte nervös mit den Goldmünzen an ihrer eigenen Weste herum, ohne sich der Ironie der Geste bewusst zu sein.
    Jahrelang hatte Keziah ihr Respekt gezollt, jetzt aber verlor sie die Geduld.
    »Sei ehrlich! Du hast nur Angst, das Geld zu verlieren, das ich der Familie einbringe.« Sie drückte der Alten eine Silbermünze in die Hand. »Hier! Damit kannst du dein Essen bezahlen, bis eins der Kinder das Tarot lernt und du in demselben Luxus leben kannst wie ich.«
    »Pah! Deine Wahrsagerei taugt zu nichts!« Patronella spuckte vor ihr aus. »Nur die leichtgläubigen gaujo sind dumm genug, auf deine Lügen hereinzufallen.«
    »Ich lüge niemals «, schrie Keziah sie an.
    »Und ob du das tust, du kleiner Mischling! Dein gaujo -Blut
hat dich verdorben! Du hast Gem
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