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Die Blechtrommel

Die Blechtrommel

Titel: Die Blechtrommel
Autoren: Günter Grass
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WHW! Keiner soll hungern, keiner soll frieren! Kleine Spende fürs WHW!
    Nach einer halben Stunde resignierte ich, langte mir aus der Ladenkasse fünf Guldenpfennige, spendete die fürs Winterhilfswerk und brachte die so bereicherte Sammelbüchse zurück zum Klavier, damit Matzerath sie finden und den restlichen Sonntag fürs WHW klappernd totschlagen konnte.
    Dieser mißglückte Versuch heilte mich für immer. Nie mehr habe ich ernsthaft versucht, eine Konservendose, einen umgestülpten Eimer, die Standfläche einer Waschschüssel als Trommel zu benutzen. Wenn ich es dennoch getan habe, bemühe ich mich, diese ruhmlosen Episoden zu vergessen, und räume ihnen auf diesem Papier keinen oder so wenig wie möglich Platz ein. Eine Konservendose ist eben keine Blechtrommel, ein Eimer ist ein Eimer, und in einer Waschschüssel wäscht man sich oder seine Strümpfe. So wie es heute keinen Ersatz gibt, gab es schon damals keinen; eine weißrot geflammte Blechtrommel spricht für sich, bedarf also keiner Fürsprache.
    Oskar war allein, verraten und verkauft. Wie sollte er auf die Dauer sein dreijähriges Gesicht bewahren können, wenn es ihm am Notwendigsten, an seiner Trommel fehlte? All die jahrelangen Täuschungsversuche wie: gelegentliches Bettnässen, allabendliches kindliches Plappern der Abendgebete, die Angst vor dem Weihnachtsmann, der in Wirklichkeit Greif hieß, das unermüdliche Stellen dreijähriger, typisch drolliger Fragen wie: Warum haben die Autos Räder? all diesen Krampf, den die Erwachsenen von mir erwarteten, mußte ich ohne meine Trommel leisten, war bald kurz vorm Aufgeben und suchte deshalb verzweifelt jenen, der zwar nicht mein Vater war, der mich jedoch höchstwahrscheinlich gezeugt hatte, Oskar wartete nahe der Polensiedlung an der Ringstraße auf Jan Bronski.
    Der Tod meiner armen Mama hatte das zuweilen fast freundschaftliche Verhältnis zwischen Matzerath und dem inzwischen zum Postsekretär avancierten Onkel, wenn nicht auf einmal und plötzlich, so doch nach und nach, und je mehr sich die politischen Zustände zuspitzten, um so endgültiger entflochten, trotz schönster gemeinsamer Erinnerungen gelöst. Mit dem Zerfall der schlanken Seele, des üppigen Körpers meiner Mama, zerfiel die Freundschaft zweier Männer, die sich beide in jener Seele gespiegelt, die beide von jenem Fleisch gezehrt hatten, die nun, da diese Kost und dieser Konvexspiegel wegfielen, nichts Unzulängliches fanden als ihre politisch gegensätzlichen, jedoch den gleichen Tabak rauchenden Männerversammlungen. Aber eine Polnische Post und hemdsärmelige Zellenleiterbesprechungen können keine schöne und selbst beim Ehebruch noch gefühlvolle Frau ersetzen. Bei aller Vorsicht — Matzerath mußte auf die Kundschaft und die Partei, Jan auf die Postverwaltung Rücksicht nehmen — kam es während der kurzen Zeitspanne zwischen dem Tode meiner armen Mama und dem Ende des Sigismund Markus dennoch zu Begegnungen meiner beiden mutmaßlichen Väter.
    Um Mitternacht hörte man zwei-oder dreimal im Monat Jans Knöchel an den Scheiben unserer Wohnzimmerfenster. Wenn Matzerath dann die Gardine zurückschob, das Fenster einen Spalt weit öffnete, war die Verlegenheit beiderseits grenzenlos, bis der eine oder der andere das erlösende Wort fand, einen Skat zu später Stunde vorschlug. Den Greff holten sie aus seinem Gemüseladen, und wenn der nicht wollte, wegen Jan nicht wollte, nicht wollte, weil er als ehemaliger Pfadfinderführer — er hatte seine Gruppe inzwischen aufgelöst — vorsichtig sein mußte, dazu schlecht und nicht allzu gerne Skat spielte, dann war es meistens der Bäcker Alexander Scheffler, der den dritten Mann abgab. Zwar saß auch der Bäckermeister ungern meinem Onkel Jan am selben Tisch gegenüber, aber eine gewisse Anhänglichkeit an meine arme Mama, die sich wie ein Erbstück auf Matzerath übertrug, auch der Grundsatz Schefflers, daß Geschäftsleute des Einzelhandels zusammenhalten müßten, ließen den kurzbeinigen Bäcker, von Matzerath gerufen, aus dem Kleinhammerweg herbeieilen, am Tisch unseres Wohnzimmers Platz nehmen, mit bleichen, wurmstichigen Mehlfingern die Karten mischen und wie Semmeln unters hungrige Volk verteilen.
    Da diese verbotenen Spiele zumeist erst nach Mitternacht begannen und um drei Uhr früh, da Scheffler in seine Backstube mußte, abgebrochen wurden, gelang es mir nur selten, in meinem Nachthemd, jedes Geräusch vermeidend, meinem Bettchen zu entkommen und ungesehen, auch ohne
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