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Die Blechtrommel

Die Blechtrommel

Titel: Die Blechtrommel
Autoren: Günter Grass
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weiche, nach ausgesuchter Seife riechende, angenehm trockene Männerhände; ich spürte Jan Bronski.
    Als er mich losließ und auffallend laut lachend gegen sich drehte, war es zu spät, um auf dem Blech meine fatale Lage demonstrieren zu können. Beide Trommelstöcke versorgte ich deshalb gleichzeitig hinter den leinernen Trägern meiner halblangen, in jener Zeit, da niemand mir Sorge trug, schmutzigen und an den Taschen ausgefransten Kniehosen. Die Hände frei, hob ich sodann die an jämmerlichem Bindfaden hängende Trommel hoch, anklagend hoch, über Augenhöhe hoch, hoch, wie Hochwürden Wiehnke während der Messe die Hostie hob, hätte auch sagen können: das ist mein Fleisch und Blut, sagte aber kein Wörtchen, hob das geschundene Metall nur hoch, wollte auch keine grundlegende, womöglich wunderbare Wandlung; die Reparatur meiner Trommel forderte ich, sonst nichts.
    Jan unterbrach sofort sein unangebrachtes und, wie ich heraushören konnte, nervös angestrengtes Gelächter. Er erblickte, was nicht zu übersehen war, meine Trommel, löste den Blick vom zerknüllten Blech, suchte meine blanken, immer noch echt wirkenden dreijährigen Augen, sah zuerst nichts, als zweimal dieselbe nichtssagend blaue Iris, Glanzlichter darin, Spiegelungen, all das, was man dem Auge an Ausdruck andichtet, nahm schließlich, nachdem er feststellen mußte, daß sich mein Blick in nichts von einer x-beliebigen spiegelfreudigen Straßenpfütze unterschied, all seinen guten Willen, gerade Greifbares in seinem Gedächtnis zusammen und zwang sich, in meinem Augenpaar, jenen zwar grauen, aber ähnlich geschnittenen Blick meiner Mama wiederzufinden, der ihm ja immerhin etliche Jahre lang Wohlwollen bis Leidenschaft gespiegelt hatte. Vielleicht aber verblüffte ihn auch der Abglanz seiner selbst, was immer noch nicht zu bedeuten hatte, daß Jan mein Vater, genauer gesagt, mein Erzeuger war. Denn seine, Mamas wie auch meine Augen zeichneten sich durch die gleiche naiv verschlagene, strahlend dümmliche Schönheit aus, die nahezu allen Bronskis, so auch Stephan, weniger Marga Bronski, um so mehr aber meiner Großmutter und ihrem Bruder Vinzent zu Gesicht stand. Mir jedoch war bei aller schwarzbewimperten Blauäugigkeit ein Schuß Koljaiczeksches Brandstifterblut — man denke nur an mein Glaszersingen — nicht abzusprechen, während es Mühe gekostet hätte, mir rheinisch-matzerathsche Züge anzudichten.
    Jan selbst, der gerne auswich, hätte in jenem Moment, da ich die Trommel hob und die Augen wirken ließ, direkt befragt, zugeben müssen: es blickt mich seine Mutter Agnes an. Vielleicht blicke ich selbst mich an. Seine Mutter und ich, wir hatten viel zu viel Gemeinsames. Es mag aber auch sein, daß mich mein Onkel Koljaiczek anblickt, der in Amerika ist oder auf dem Meeresgrund. Nur Matzerath blickt mich nicht an, und das ist gut so.
    Jan nahm mir die Trommel ab, drehte, beklopfte sie. Er, der Unpraktische, der nicht einen Bleistift ordentlich anspitzen konnte, tat so, als verstünde er etwas von der Reparatur einer Blechtrommel, faßte sichtbar einen Entschluß, was selten bei ihm vorkam, nahm mich bei der Hand — was mir auffiel, denn so eilig wäre es nicht gewesen — überquerte mit mir die Ringstraße, fand mit mir an der Hand die Insel der Straßenbahnhaltestelle Heeresanger und stieg, als die Bahn ankam, mich nachziehend in den Anhänger für Raucher der Linie Fünf.
    Oskar ahnte es, wir fuhren in die Stadt, wollten zum Heveliusplatz, in die Polnische Post zum Hausmeister Kobyella, der jenes Werkzeug und Können hatte, nach welchem Oskars Trommel seit Wochen verlangte.
    Es hätte diese Straßenbahnfahrt zu einer ungestörten Freudenfahrt werden können, wäre es nicht der Vorabend des ersten September neununddreißig gewesen, an dem sich der Triebwagen mit Anhänger der Linie Fünf, vom Max-Halbe-Platz an vollbesetzt mit müden und dennoch lauten Badegästen des Seebades Brösen, in Richtung Stadt klingelte. Welch ein Spätsommerabend hätte uns nach Abgabe der Trommel im Cafe Weitzke hinter Limonade mit Strohhalmen gewinkt, wenn nicht in der Hafeneinfahrt, gegenüber der Westerplatte, die beiden Linienschiffe »Schlesien« und »Schleswig-Holstein« festgemacht und der roten Backsteinmauer mit darunterliegendem Munitionsbecken ihre Stahlrümpfe, drehbaren Doppeltürme und Kasemattengeschütze gezeigt hätten. Wie schön wäre es gewesen, an der Pförtnerwohnung der Polnischen Post klingeln und eine harmlose Kinderblechtrommel dem
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