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Die Blechtrommel

Die Blechtrommel

Titel: Die Blechtrommel
Autoren: Günter Grass
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Streichholz des Brandstifters hatte, mußten trojanische Pferde einfallen, um in die Festung gelangen zu können.
    Oskar sieht sich wie ein echter Dreijähriger mit einem Gummiball spielen, bemerkt, wie jener Oskar zufällig den Ball unter die Röcke rollen läßt, dann dem runden Vorwand nachgleitet, bevor Seine Großmutter die List durchschauen, den Ball zurückgeben kann.
    Wenn die Erwachsenen dabei waren, duldete mich meine Großmutter nie lange unter den Röcken. Die Erwachsenen verspotteten sie, erinnerten sie mit oftmals anzüglichen Worten an ihre Brautzeitauf dem herbstlichen Kartoffelacker, ließen die Großmutter, die von Natur her nicht bleich war, heftig und anhaltend erröten, was der Sechzigjährigen unter fast weißem Haar nicht schlecht zu Gesicht stand.
    Wenn meine Großmutter Anna jedoch alleine war — selten kam es vor und immer seltener sah ich sie nach dem Tode meiner armen Mama, und kaum noch, seit sie den Marktstand auf dem Langfuhrer Wochenmarkt hatte aufgeben müssen — duldete sie mich eher, freiwilliger und länger unter den kartoffelfarbenen Röcken. Nicht einmal den dummen Trick mit dem noch dümmeren Gummiball brauchte es, um Einlaß zu finden. Mit meiner Trommel über die Dielen rutschend, ein Bein unterschlagend, das andere gegen die Möbel stemmend, schob ich mich in Richtung des großmütterlichen Berges, hob, am Fuße angelangt, mit den Trommelstöcken die vierfache Hülle, war schon darunter, ließ den Vorhang viermal und gleichzeitig fallen, blieb ein Minütchen lang still und ergab mich ganz, mit allen Poren atmend, dem strengen Geruch leicht ranziger Butter, der immer und durch keine Saison beeinflußt, unter jenen vier Röcken vorherrschte. Erst dann begann Oskar zu trommeln. Wußte er doch, was seine Großmutter gerne hörte, und so trommelte ich oktoberliche Regengeräusche, ähnlich jenen, die sie damals hinter dem Kartoffelkrautfeuer gehört haben muß, als ihr der Koljaiczek mit dem Geruch eines heftig verfolgten Brandstifters unterlief. Einen feinen schrägen Regen ließ ich aufs Blech fallen, bis über mir Seufzer und heilige Namen laut wurden, und es bleibt Ihnen überlassen, hier jene Seufzer und heiligen Vornamen wiederzuerkennen, die damals im Jahre neunundneunzig laut wurden, als meine Großmutter im Regen saß und der Koljaiczek im Trocknen.
    Als ich im August neununddreißig der Polensiedlung gegenüber auf Jan Bronski wartete, dachte ich oft an meine Großmutter. Es hätte ja sein können, daß sie bei der Tante Hedwig zu Besuch war. Wie verlockend auch der Gedanke sein mochte, unter Röcken sitzend ranzigen Buttergeruch einatmen zu können, stieg ich dennoch nicht die zwei Treppen hoch, klingelte nicht an der Tür mit dem Namenschild: Jan Bronski. Was hätte Oskar auch seiner Großmutter bieten können? Seine Trommel war zerschlagen, seine Trommel gab nichts mehr her, seine Trommel hatte vergessen, wie sich ein Regen anhört, der im Oktober fein und schräge auf ein Kartoffelkrautfeuer fällt. Und da Oskars Großmutter nur mit der Geräuschkulisse herbstlicher Niederschläge beizukommen war, blieb er auf der Ringstraße, sah jenen Straßenbahnen entgegen und nach, die den Heeresanger rauf und runter klingelten und alle der Linie Fünf dienten.
    Wartete ich noch auf Jan? Hatte ich es nicht schon aufgegeben und stand nur noch auf meinem Fleck, weil mir noch keine passable Form fürs Aufgeben eingefallen war? Längeres Warten wirkt sich erzieherisch aus. Es kann aber auch längeres Warten den Wartenden dazu verführen, die zu erwartende Begrüßungsszene so ins Detail gehend auszumalen, daß dem Erwarteten jede Chance einer geglückten Überraschung genommen wird. Jan überraschte mich dennoch. Vom Ehrgeiz besessen, ihn, den Unvorbereiteten zuerst zu erblicken, mit den Resten meiner Trommel antrommeln zu können, stand ich gespannt und mit griffbereiten Stöcken auf meinem Fleck.
    Ohne erst lange erklären zu müssen, wollte ich mit großem Schlag und Aufschrei des Bleches meine hoffnungslose Lage deutlich machen, sagte mir: Noch fünf Straßenbahnen, noch drei, noch diese Bahn, stellte mir, Schrecken an die Wand malend, vor, daß die Bronskis auf Jans Wunsch hin nach Modlin oder Warschau versetzt worden waren, sah ihn als Oberpostsekretär in Bromberg oder Thorn, wartete, alle vorherigen Schwüre brechend, noch eine Straßenbahn ab und drehte mich schon in Richtung Heimweg, da wurde Oskar von hinten gefaßt, ein Erwachsener hielt seine Augen zu.
    Ich spürte
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